Von Berlin nach Kreta. Carleen Rehlinger entschied sich für einen Freiwilligendienst auf der beliebten Ferieninsel, der auf den ersten Blick nicht zum immer sonnigen Image der Ägais-Insel passt: Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Auswirkungen auf die jüdischen Gemeinden der Insel. In Teil Eins der kleinen Serie schreibt die 19-jährige über den Beginn ihres Einsatzes in der Etz Hayyim Synagoge in der zweitgrößten kretischen Stadt Chania.
„Die schwere Holztür öffnet sich und ich trete heraus aus den mit Tourist*innen überfüllten, schmalen Gassen und hinein in den kleinen, ruhigen Innenhof der Etz Hayyim Synagoge. Hier, inmitten der Altstadt von Chania auf Kreta, werde ich nun für ein Jahr meinen Freiwilligendienst leisten.“ Mit diesen Worten schilderte ich im vergangenen September meine ersten Eindrücke, kurz nachdem ich in meiner Einsatzstelle für meinen einjährigen Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) angekommen war. Heute ist genau das zu meinem Alltag geworden und die Tage, in denen ich zum ersten Mal die schmalen, bunten Gassen von Chanias Altstadt für mich entdeckte, scheinen eine Ewigkeit her zu sein. Auch wenn ich jetzt noch Neues entdecke, ist die Stadt für mich wie ein zweites Zuhause geworden.
Begonnen hat alles mit meiner Bewerbung im November 2020 bei ASF, einer Organisation, die unter anderem internationale Freiwilligendienste in Europa, Israel und den USA organisiert und dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen legt. Letzteres war mir sehr wichtig, weil ich eine Art historische Verantwortung“spüre (mehr dazu in einem der nächsten Blogbeiträge hier) und zusammen mit meinem Wunsch, ein Jahr ins Ausland zu gehen, hatte mich das zu ASF geführt.
Der Einsatzort steht: Die ersten Tage als Freiwillige in Griechenland
Während ich noch mitten im Schulstress steckte, bekam ich im Februar, im Anschluss an ein Online-Auswahlseminar, endlich eine Zusage für ein Jahr Freiwilligendienst in Griechenland. Es waren zwar noch einige Monate Zeit bis zu meiner Ausreise, aber ich war schon voller Aufregung und Vorfreude, was mich in der Etz Hayyim Synagoge erwarten würde, die ich als Einsatzstelle zugeteilt bekommen hatte.
Nach einem digitalen Vorbereitungsseminar Anfang September lernte ich die anderen vier Griechenland-Freiwilligen von ASF in unseren Orientierungstagen kennen, die wir in einem kleinen Dorf auf dem Peloponnes verbrachten. Dort beschäftigten wir uns mit der Kultur, Politik und Geschichte Griechenlands und schon in dieser ersten Woche habe ich viel über das – mir bis dahin weitgehend unbekannte – Land erfahren, etwa bei einem Besuch eines griechisch-orthodoxen Gottesdienstes.
Die Woche verging einerseits zu schnell: Wir waren als Gruppe in kurzer Zeit zusammengewachsen und freuten uns schon darauf, uns beim nächsten Seminar wiederzusehen. Andererseits konnte ich es kaum erwarten, endlich in der Synagoge auf Kreta und meiner ersten eigenen Wohnung anzukommen.


Vom Peloponnes nach Kreta
Dort eingetroffen, fühlte ich mich sofort willkommen und zusammen mit meinem Mitfreiwilligen Theo von der österreichischen Organisation Gedenkdienst in dem kleinen Team der Synagoge sehr gut aufgehoben. Über unsere Aufgaben und unseren Einsatzort möchte ich in einem späteren Beitrag näher berichten, an dieser Stelle will ich von einem unserer Tätigkeitsbereiche erzählen, der besonders prägend für meine ersten Tage in Chania war: die Teilnahme und Vorbereitung der jüdischen Feiertage und Community-Events.
Denn schon am zweiten Tag nach meiner Ankunft wurde in der Synagoge Jom Kippur gefeiert und damit lernte ich bereits zu Beginn einen wichtigen jüdischen Feiertag kennen. Diese und ähnliche Erfahrungen sollten sich durch meine gesamte Dienstzeit ziehen. Bis jetzt – ich werde noch etwa drei Monate in Griechenland bleiben – habe ich viele, zum Teil in Herkunft und Mindset sehr unterschiedliche Juden*Jüdinnen sowie eine große Anzahl jüdischer Festtage kennengelernt. Zusammen mit dem wöchentlichen Sabbat-Gottesdienst konnte ich verschiedene Einblicke in jüdisches Leben erhalten und freue mich schon darauf, in den kommenden Monaten mein Wissen noch weiter auszubauen und Kreta noch besser kennenzulernen.
Im zweiten Teil der Serie geht es um die Etz Hayyim Synagoge in Chania und Carleens Aufgaben während des Freiwilligendienstes sowie um die ehemaligen jüdischen Gemeinde Chanias. In Teil Drei beschäftigt sich Carleens mit ihrer Rückkehr nach Deutschland und reflektiert über ihren Dienst.
Text und Fotos: Carleen Rehlinger
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2 Gedanken zu “Freiwilligendienst auf Kreta: Einblicke in das jüdische Leben in Chania (Teil 1)”