Zum heutigen Jahrestag des größten Massakers auf der griechischen Peloponnes durch die deutsche Wehrmacht und zum 200-jährigen griechischen Unabhängigkeitsjubiläum wurde das Hörspiel „Kalavryta. Ein Hörspiel nach Augenzeugenberichten“ veröffentlicht. Darin kommen aber nicht nur Stimmen dieser vor, sondern auch deutsche Jugendliche, die vor Ort waren und ihre Erfahrungen in die Hamburger Heimat tragen wollten.
Seit 78 Jahren stehen ihre Zeiger still: Mehr als 40 Millionen Minuten hat die Kirchturmuhr in Kalavryta nicht mehr gezählt. Sie blieb am 13. Dezember 1943 um 14.33 Uhr stehen als die letzten Schüsse einer mehrstündigen Vergeltungsaktion der Wehrmacht durch die Kleinstadt im Norden der griechischen Peloponnes hallten. Der Tag ist ein einzigartiger für die Stadt und die Region, in der nicht nur die Uhr an das Geschehene erinnert: Jahr für Jahr versammeln sich die Einwohner unterhalb des weißen Kreuzes über der Stadt und bitten auf dem Kapi-Hügel um Gerechtigkeit. Heute zum 78. Mal.
Rückblende in die Gedanken eines Zeitzeugen im August 1978, 35 Jahre nach der Katastrophe: „Der Platz ist voller Menschen, rechts vom Springbrunnen sitzen auf dem Boden 50 junge Deutsche. Sie sind von einer antifaschistischen Organisation. Als sie nach Griechenland kamen, hörten Sie, ich weiß nicht wie, auch von Kalavryta. Und sie kamen, um sich zu überzeugen, ob das wahr sei, was Sie gehört hatten. Seit heute morgen laufen sie herum, zum Mahnmal, zum Friedhof, zum Kloster Mega Spileo, überall – sie machen Fotos. Auch sie wollen erfahren, was geschehen ist. Sie fragten, ob sie noch den Abend bleiben, und an unserer Feier teilnehmen dürften. Wir alle befürchteten Zwischenfälle. Es ist schwer zu vergessen, alles ist merkwürdig heute Abend.“
Aus einer Jugendbegegnung entstanden
So beginnt „Kalavryta. Ein Hörspiel nach Augenzeugenberichten“ und nimmt die Zuhörer mit auf eine Reise zurück. Es thematisiert die als „Rachefeldzug“ getarnten Massaker bei denen viele hundert Zivilisten ermordet wurden. Zuvor hatten Partisanen deutsche Soldaten gefangen genommen und erschossen. Die Spuren davon sind bis heute in der Erinnerung und an den Orten lebendig. Das erfuhr eine Gruppe von Jugendlichen aus Hamburg-Harvestehude um den damaligen Gemeindepastor Constantin Gröhn auf einer Fahrt in die Region im Jahr 2017. Begleitet wurden sie von Radiokünstler Lasse-Marc Riek. Der Plan: Ein Hörspiel entstehen zu lassen, mit dem die Erfahrungen aus Kalavryta verarbeitet und in die Gemeinde weitergetragen werden.
Den erzählerischen Rahmen des rund 30-minütigen Hörspiels bietet die Darstellung von Franzeska Nika, die das Unglück er- und überlebte. Gesprochen wird es u.a. von den Schauspielern Rolf Becker, Sylvia Wempner und Sabine Waffender. Angereichert wird die Erzählung von Klanglandschaften und Stimmen der Jugendlichen. Heute sollte es im Mahnmal St. Nikolai in Hamburg gezeigt werden – doch die Pandemie machte dem einen Strich durch die Rechnung, sodass es nun, unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, online zu hören ist. „Tatsächlich haben sich seit unserem Besuch in der Region Kalavryta bis zur Veröffentlichung einige Hindernisse eingeschlichen“, berichtet Constantin Gröhn. Zwei szenische Live-Aufführungen konnten stattfinden, ein Rückbesuch von jungen Menschen aus Kalavryta in Hamburg konnte aber nicht mehr bewerkstelligt werden.
Giati – warum?
Das Hörspiel nimmt die Hörer in die Erlebnisse der Zivilbevölkerung. Es zeigt auch Einblicke in die Situation eines deutschen Wehrmachtsoldaten vor Ort sowie über Zitate auch solche in das Denken des Diktators des Deutschen Reichs (1933-1945), Adolf Hitler, und das von Karl von Le Suire, Kommandeur der 117. Jägerdivision, der „das Unternehmen Kalavrita“ anführte. Le Suire nannte die Griechen ein „Sauvolk“, dem nur „mit Misstrauen“ begegnet werden dürfe. Von ihm angeordnet, bewegte sich Ende November 1943 ein Verband von 1.000 deutschen Soldaten zangenförmig auf Kalavryta zu. Hunderte Menschen aus dem Ort und aus 22 weiteren umliegenden sowie aus drei Klöstern wurden dabei ermordet, die Orte geplündert und in Flammen gesetzt.
Panagiotis Asimakopoulos, damals 19 Jahre alt, überlebte durch ein Versteck in einem Hohlraum in der Kirche von Roji: „Ich habe die Deutschen kommen sehen, die Kugeln zwitscherten um mich herum wie Nachtigallen“, erinnert sich der Hirtenjunge im Hörspiel an den Morgen des 8. Dezember. Die Männer und Jungen in die Dorfkirche von Roji geprügelt, wurden der Reihe nach im Vorhof erschossen. Panagiotis schaffte es zu fliehen und versteckte sich mit zwei weiteren in einem Bach. Zurück blieben in der Region Kalavryta Städte der Witwen: Die Frauen, die entkommen konnten, suchten nach dem Massaker in den Leichenhaufen nach ihren Angehörigen und versuchten im gefrorenen Boden Gräber auszuheben.



Nicht nur diese Erinnerungen, auch die Worte der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München vom 18. Juni 1972 klingen beim Hörer noch einige Zeit nach. Darin heißt es folgendermaßen: „Es kann nicht festgestellt werden, dass bei der Durchführung der Sühnemaßnahmen in Roji die Humanitätsschranke überschritten worden wäre (…).“ Mut machen hingegen die Worte der Jugendlichen, die sich wünschen, dass sich die Menschen von den Schicksalen berühren lassen und ein Nachdenken darüber einsetzt, wie Deutschland einen positiven Umgang mit der Kriegsschuld finden kann.
Zum 30-minütigen Hörspiel, das in Zusammenarbeit von Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, der kirchlichen Gedenkstättenarbeit des Kirchenkreises, dem Mahnmal St. Nikolai und dem Förderverein St. Johannis-Harvestehude entstanden ist: https://kalavryta-hoerspiel.de
Mehr zur Jugendbegegnung der Gemeinde St. Johannis-Harvestehude auf agorayouth.
Text und Fotos: Lisa Brüßler
Trailer: Zaza Uta Röttgers
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