Ein großflächiges Kunstwerk auf einer zentralen Mauer im Dorfzentrum von Kryoneri – das ist eins der sichtbaren Ergebnisse einer Begegnung von Jugendliche aus Deutschland und Griechenland auf dem Peloponnes. Anfang Juli wurden die zwanzig Jugendlichen gemeinsam kreativ und beschäftigten sich mit den Themen Geschichte, Erinnerung und Musik. lm Fokus standen auch Besuche von Dörfern der Erinnerung.
„Mehr als 500 Männer und minderjährige Jungen wurden allein in Kalavryta am 13. Dezember 1943 von Soldaten der Deutschen Wehrmacht ermordet und der Ort wurde niedergebrannt“, erzählt der 19-jährige Paul Noak aus Norddeutschland den Teilnehmenden der deutsch-griechischen Jugendbegegnung Anfang Juli in der Kleinstadt im Norden der Halbinsel Peloponnes. Seit zehn Monaten arbeitet er als Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste im Holocaust-Museum der Stadt Kalavryta. Täglich führt er Gruppen durch die Ausstellung, die die dunkelsten Jahre deutsch-griechischer Geschichte zeigt.
Bei der Jugendbegegnung zwischen dem Bonner Verein Lucky Luke e.V. und dem griechischen Verein Filoxenia setzen sich die Jugendlichen eine Woche insbesondere mit der deutsch-griechischen Geschichte und Erinnerungskultur auseinander. „Ich bin sehr froh, dass diese Reise zustande gekommen ist“, sagt Martin Hermann, Vorsitzender von Lucky Luke. „Internationale Jugendbegegnungen bieten die Chance, auch die Geschichte(n) von gleichaltrigen Jugendlichen kennenzulernen. Die Jugendlichen blicken über ihren eigenen Tellerrand, erfahren, dass sie selbst ein Teil der Geschichte sind und, dass sie durch ihr Engagement Veränderungen bewirken können, dass sie auch Verantwortung dafür tragen, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen“, so Herrmann, der diee Gruppe begleitete.




Erinnerung und Europa
Im griechischen Bergdorf Kryoneri in der Nähe von Korinth, in dem die griechische Partnerorganisation filoxenia ansässig ist war die Gruppe untergebracht. Dort hatten Bewohner im Zweiten Weltkrieg Jüdinnen und Juden vor der Wehrmacht versteckt. Das geschichtsträchtige Dorf war damit das Herzstück der Jugendbegegnung. Angeleitet von den Teamerinnen Andromachi Poulou und Pauline Gerbershagen arbeitete die Gruppe unterschiedliche Perspektiven auf Erinnerung und Geschichte heraus, beschäftigte sich mit Vorurteilen und entwickelte eine Vision einer besseren Europäischen Union. „Die Diskussion hat wieder einmal gezeigt, dass in Griechenland nur sehr wenig über den Zweiten Weltkrieg gesprochen wird“, sagt Poulou. Jugendbegegnungen wie diese gebe es auch, um hier einen Anstoß zu liefern.
Besuch in Kalavryta
Die Exkursion nach Kalavryta war für viele Teilnehmende ein Schlüsselerlebnis. In der Stadt hatte die deutsche Wehrmacht regelrecht gewütet und im Rahmen einer sogenannten „Sühnemaßnahme“ am 13. Dezember 1943 mehrere hundert Männer hingerichtet. Große Teile des Dorfes wurden Opfer der Flammen. Vor großen weißen Kreuzen und den griechischen Schriftzügen „Nie wieder Krieg“ und „Frieden“ sind die Namen der Getöteten auf Gedenktafeln eingraviert. Manche Getöteten sind am 13. Dezember 1943 gerade einmal 14 Jahre alt gewesen. „An dem Ort zu stehen, an dem so viele Menschen in den Tod gerissen wurden, ist mit Worten nicht zu beschreiben“, sagte eine Teilnehmerin. Gleichzeitig geschehen ähnliche Kriegsverbrechen auch in der Ukraine – dies sei unfassbar für sie.
Zum Abschluss des Tages in Kalavryta besuchte auch der Generalsekretär des Deutsch-Griechischen Jugendwerks (DGJW) die Gruppe. Gerasimos Bekas bedankte sich beim Organisationsteam und den Jugendlichen für die aktive Erinnerungsarbeit. „Die Wertschätzung dieses Projekts seitens des erst kürzlich gegründeten Jugendwerks sei motivierend“, betonte Panos Poulos, der mit Filoxenia seit Jahrzehnten internationale Jugendprojekte organisiert. „Wir freuen uns sehr, dass das durch die Gründung des DGJW eine gute Basis gelegt ist, Jugendbegegnungen dauerhaft zu fördern. Geschichts- und Erinnerungsarbeit wird auch weiterhin ein Schwerpunkt unserer Bildungs- und Begegnungsarbeit sein“, sagte er. Bisher betreue Filoxenia fünf Freiwillige in Opferdörfern. „Wir brauchen noch viel mehr solcher Projekte. Die Gräueltaten der Nazis dürfen niemals in Vergessenheit geraten und müssen Ansporn für eine aktive Friedensarbeit sein“, plädierte Poulos.







Projekt bleibt im Gedächtnis des Dorfs
Das bilaterale Jugendprojekt wird den Bewohnern des Dorfes Kryoneri wohl noch länger in Erinnerung bleiben. Unter Anleitung des Künstlers Abdou Diatta, der unter anderem an der europäischen Kunstakademie in Trier lehrt, entstand ein großflächiges Kunstwerk auf einer gut sichtbaren Mauer im Dorfzentrum. Erkennbar ist unter anderem der Weg vom Dorf zur Karamanos Höhle, in der die Dorfbewohner die Jüdin Rifka mit erst sechs Jahren vor den Nationalsozialisten versteckten. Die heute 85-Jährige lebt in Israel und hat das Dorf in den letzten Jahren mehrmals besucht.
Die musikalische Gruppe erarbeitete ein politisches Musikprogramm für den Frieden auf Deutsch, Englisch und Griechisch, das in einem internationalen Abend im Amphitheater von Kryoneri gipfelte. Das griechische Musiker-Duo Giannis Rasoulis und Giannis Kibisis sorgte für Tanzmusik – mit politischen Liedern gegen Krieg, Menschenfeindlichkeit und für Frieden und Solidarität. Gemeinsam mit den Jugendlichen aus dem Kulturverein tanzen zum Schluss alle zusammen griechische Tänze.
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Text: Panos Poulos, Martin Herrmann, Luca Samlidis
Fotos: Abdou Diatta, Lucky Luke e.V.