Ohne den familiären Bezug von Pastor Constantin Gröhn wären die Türen in Kalavryta nicht so einfach aufgegangen: Fünf Tage war er mit einer Gruppe von Jugendlichen aus seiner Gemeinde St. Johannis-Harvestehude unterwegs in dem Opferort und der Umgebung auf dem Peloponnes. Die Erfahrungen aus der Reise werden nun in einem Hörspiel aufgearbeitet.

„Man merkte einerseits diese Gastfreundschaft der Griechen, aber auch, dass es ein sehr großes Anliegen gab“, erzählt Albert Koch (15) aus Harvestehude: „In Kalavryta hatte ich das Gefühl, dass wir einen Schritt gemacht haben, der davor noch nicht so oft getan wurde. Dass es von deutscher Seite gar nicht so sehr beachtet wird, was da in Griechenland passiert ist und dass es daher eine große Erleichterung war, dass dies jetzt auch mal geschehen ist. Und es war etwas sehr Besonderes, dass der Bürgermeister sich für uns so viel Zeit genommen hat. Das schien wirklich ein großes Ereignis dort zu sein – das fand ich schon sehr außergewöhnlich“, erzählt er.

Ein Mal jährlich unternimmt eine Gruppe von Jugendlichen aus der St. Johannis Kirche Harvestehude eine gemeinsame Fahrt. 2017 war es ein ganz besonderer Ort – auch für Gemeindepastor Dr. Constantin Gröhn. Es war eine Reise zu seinen griechischen Wurzeln: Nach Kalavryta, einer der Orte, der der Wehrmacht zum Opfer fiel: „Die Beziehung zwischen Deutschland und Griechenland war lange geprägt von einer historischen Verbundenheit einerseits, aber auch durch Schuld und Abhängigkeit andererseits.“ Gleichzeitig betont Gröhn, dass der Austausch keinen politischen Auftrag habe: „Wir haben uns als Teil einer christlichen Gesellschaft verstanden, die nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame zwischen den Menschen sieht. Daran glaube ich auch als Sohn eines deutschen Vaters und einer griechischen Mutter, Loula Stathoulia, die in Kalavryta, genau genommen in Bouboukas, aufgewachsen ist.“

Geschichte lebendig werden lassen

Das Holocaustmuseum Kalavrita 19.10.17

In der ehemaligen Schule, die jetzt Museum ist.

Auch das öffnete so manche Türe in Kalavryta: „Ein Zeitzeuge sagte mir, dass er nur gekommen ist, weil er meine Mutter kennt – sonst hätte es ihm zu sehr weh getan“, erzählt Gröhn. Fünf Tage, vom 16. bis 21. Oktober 2017, war die  zwölfköpfige Jugendgruppe unterwegs in Athen und in der Region Kalavryta. Das Ziel: Brücken der Verständigung bauen, die Geschichte verstehen, griechischen Jugendlichen begegnen, Vorurteile abbauen und dafür Kommunikation und Kooperation leben.

Mitte Oktober 1943 wurden bei Kalavryta von Partisanen 80 deutsche Soldaten gefangen genommen. Die 117. Jäger-Divison, die dem deutschen Generalmajor Carl von Le Suire unterstand, begannen daraufhin am 9. Dezember einen Rachefeldzug, der zur Folge hatte, dass Kalavryta und weitere 25 Orte zerstört wurden. Am 13. Dezember wurden alle Dorfbewohner zur Schule befohlen; Frauen und Kinder wurden dort eingesperrt, Männer und Jungen wurden oberhalb des Ortes auf einen Hügel geführt und dort mit Maschinengewehrfeuer hingerichtet. Von den Deutschen für tot gehalten, überlebten 13 Männer. Insgesamt wurden in diesen Tagen bis zu 1000 griechische Zivilisten in der Gegend ermordet.

Intensiv hatte die Hamburger Gruppe die Reise vorbereitet. Auch eine Pädagogin des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge war involviert, sodass die Jugendlichen schon vor dem Abflug einiges über die Historie der Region wussten. Trotzdem war die Erfahrung vor Ort noch mal etwas anderes, erzählt Ntiimi Mwakalambo (18): „Bei mir sind Gefühle und Emotionen aufgekommen, die ich noch gar nicht kannte. Vor allem bei den Zeitzeugen, bei Alexis Lexouritis als bei ihm die Tränen gekommen sind, das hat mich sehr, sehr berührt“, sagt sie.

Die negative Verbindung kann zu einer positiven werden

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Die Gruppe im Dorf Roji.

Lange hat sich die Gruppe mit negativen Auswirkungen, Klischees und Vorurteilen beschäftigt und im Athener Goethe-Institut mit Monika Frank von der Deutschen Botschaft und dem Historiker Hagen Fleischer über die Schwierigkeiten der Wiedergutmachung gesprochen. Während der Reise besuchte sie das Holocaust-Museum in der ehemaligen Schule Kalvrytas und die Kloster Agia Lavra und Mega Spileon, in dem auch Mönche Opfer der deutschen Besatzer wurden: „Es war für uns spürbar, wie die Wunden von den dramatischen Ereignissen um den 13. Dezember 1943 herum bis heute noch nachwirken“, sagt Pastor Gröhn. Für ihn besonders bewegend waren die Begegnungen in dem Dorf Roji, wo 58 Jungen und Männer der Reihe nach auf dem Kirchplatz erschossen wurden, während in der Kirche selbst Panik und ein wilder Überlebenskampf zwischen den Eingeschlossen entbrannte.

Basketballspiel mit ortsansassigen Jugendlichen 19.10.17 Kalavrita

Begegnung auch beim Sport.

Jorina Happke (16) beeindruckte die Herzlichkeit der Bewohner: „Als wir in Kato Zachlorou Essen waren, wurde sich sehr nett sich mit uns unterhalten. Alexia, eine Tanzlehrerin, kam am Ende noch einmal und sagte: ‚Wenn ihr irgendwann mal nach Griechenland kommt, könnt ihr gerne bei mir übernachten.’ Dass sie gleich so offen war, das ist für Deutsche ja schon etwas Besonderes.“ Sarah Laakmann (14) nimmt vor allem mit, dass die Gräueltaten niemals in Vergessenheit geraten werden.. „Ein Highlight der Woche war neben den Zeitzeugenberichten aber auch das Basketballspiel mit den griechischen Jugendlichen“, sagte sie.

Geplant ist noch 2018 ein Gegenbesuch in Hamburg. Erstaunlich nachdenklich äußerte sich darüber Teilnehmer Felix Marx (14): „Wenn es einen Rückbesuch gibt, glaube ich persönlich, dass es nicht so herzlich werden kann wie in Kalavryta. Ich glaube nicht, dass wir so viele Leute dazu bringen, etwas beizutragen wie hier. Ich befürchte, dass wir sie nicht so gut behandeln wie sie uns behandelt haben.“

Signal an die eigene Gemeinde
Mit auf der Reise war auch ein Radiokünstler, der Aufnahmen gemacht hat und mit den Jugendlichen und professionellen Sprechern an einem Hörspiel arbeitet, das die Erfahrungen während des Austauschs aufarbeiten will. Ein Wunsch von Pastor Gröhn ist es, dass die Rückbegegnung dann stattfindet, wenn das Kalavryta-Hörspiel aufgeführt werden soll. „Wir sind jetzt an der Aufnahme und Produktion und suchen noch einen Radiosender, der es gern senden würde, aber unser wichtigestes Anliegen ist, die Erfahrungen aus Kalavryta in die Gemeinde weiterzutragen“, sagt er – denn das war auch sein Signal in Griechenland.

Die Uraufführung des Kalavryta-Hörspiels „Change your memory: Alles verbrannt – Kalavryta 1943“ von Lasse-Marc Riek, Rolf Becker uvm. ist geplant für den 18. Oktober 2018, 20 Uhr im Gemeindesaal der St.Johannis-Harvestehude. Nach und vor der Aufführung erzählen die Jugendlichen von ihren Erfahrungen aus dem Jugendaustausch.

Text: Lisa Brüßler
Fotos: Dr. Constantin Gröhn

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