Zwei Schreibtische und ein paar Stühle – damit beginnt die Geschichte des Deutsch-Griechisches Jugendwerks (DGJW/ΕΓΙΝ) in Thessaloniki. Seit April 2021 sitzt Maria Sarigiannidou als Generalsekretärin an ihrem Schreibtisch in der Villa Petridi – inzwischen hat sie ein fünfköpfiges Team und ein paar mehr Tische und Stühle. Ein Gespräch über ihre Lieblingsstadt, Widerstände und die nächsten Schritte.
Agorayouth: Maria, schön, dich in eurem neuen Büro in Thessaloniki zu sehen! Habt ihr nun alle ein Büro in der Villa?
Maria Sarigiannidou: Ja, die Büros sind eingerichtet und auch die Stellen sind nun fast alle besetzt. Es fehlt nur noch die für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab September sind wir dann zu fünft. Anfang April sah das noch anders aus: Da gab es nur mich, zwei Schreibtische und ein paar Stühle, die uns die Gemeinde zur Verfügung gestellt hatte (lacht). Am 23. September wollen wir die Villa Petridi mit einer kleinen Einweihungsfeier eröffnen. Wegen der Pandemie können zwar nicht so viele Leute kommen, aber wir wollen darauf aufmerksam machen, dass wir da sind und unsere Türen offen stehen.
Du bist in Thessaloniki geboren und aufgewachsen. Was hast du gedacht, als du erfahren hast, dass deine Heimatstadt der griechische DGJW-Sitzort wird?
Am Anfang hieß es ja, dass es Thessaloniki werden könnte, dann hat man wieder etwas zu Athen gehört. Über die finale Entscheidung habe ich mich dann sehr gefreut! Ich denke, dass die Verbindung zu Deutschland bei den Menschen, die hier leben, noch ein bisschen enger ist als zum Beispiel in Athen. Thessaloniki ist ja auch Partnerstadt von Leipzig!
Ich habe hier die Deutsche Schule besucht, ein Erasmus-Semester in Köln gemacht, in München mein Masterstudium verbracht und darf jetzt in meiner Lieblingsstadt leben und das DGJW mit aufbauen, das ist großartig.
Das DGJW gibt es mittlerweile fast seit fünf Monaten – woran arbeitet ihr derzeit verstärkt?
Wir planen die erste Sitzung der Arbeitsgruppe für die Förderrichtlinien, die Anfang September ansteht und bereiten die erste deutsch-griechische Zentralstellenkonferenz vor, die nun vom 11. bis 13. Oktober in Thessaloniki stattfinden soll. Wir sind optimistisch was die Corona-Zahlen angeht, auch wenn wir wegen der Pandemie-Beschränkungen nicht so viele Organisationen wie wir uns wünschen einladen können. Wir rechnen etwa mit 60 bis 70 Trägern, aber es ist natürlich auch immer die Frage, wer reisen kann…
Ihr habt euch dagegen entschieden, die Konferenz virtuell stattfinden zu lassen. Warum?
Wir sind eine neu gegründete Organisation und wollen, dass sich die Beteiligten und auch uns persönlich kennenlernen können. Wir haben mit digitalen Infoveranstaltungen gearbeitet und das Beratungscafé findet auch jede Woche virtuell statt – das soll auch so bleiben. Aber die persönliche Begegnung, gerade bei unserer ersten Veranstaltung, kann nicht virtuell ersetzt werden. Bevor die Konferenz wegen der Corona-Entwicklung aber nochmals ausfällt, würden wir natürlich auf den hybriden Weg umstellen.
Du hast die Verbindung zwischen Thessaloniki und Deutschland angesprochen. Konntet ihr denn in den Antragsrunden sehen, dass es einen Schwerpunkt bei den Trägern gibt?
Ja, es ist schon bemerkenswert, dass Thessaloniki die Stadt ist, in der die meisten Träger Austausche organisiert haben. Das haben wir ganz klar in den Statistiken gesehen. Aber natürlich sind auch viele andere Orte außerhalb der Großstädte vertreten.
Ihr habt fast 50 Anträge in der ersten Antragsrunde bewilligt. Warst du erstaunt von der Menge?
Ja, vor allem, wenn man bedenkt, dass wir die Arbeit am 1. April aufgenommen haben und die Frist am 30. April geendet hat. Das waren also nur 30 Tage nur und auch die Formulare gab es ja erst ab Anfang April. Und dann war da ja auch noch Corona. Es ist schön jetzt auch die Umsetzung der Projekte zu sehen: Im Mai habe ich einen Volleyball-Austausch von Vereinen aus Athen und Hamburg besucht. Das war toll zu sehen wie sich die Jugendlichen ausgetauscht haben und gemischt haben für die Tourniere.
Ihr seid jetzt fast fünf Monate im Arbeitsbetrieb. Am Anfang wollten bestimmt sehr viele Menschen Infos von dir – hat sich das mittlerweile etwas „gelegt“?
Ich hatte Kontakt zu einer Menge Leuten und habe viel Zeit auf Zoom verbracht. Bis Ende April war ich zudem allein im Büro. Ich weiß gar nicht, wie viele Hunderte Male ich die Frage beantwortet habe, was das Jugendwerk überhaupt ist und wie es funktioniert – nicht nur bei der Bank und im Finanzamt. Es gibt sehr viele Menschen und Organisationen in Griechenland, die noch nie etwas von Jugendwerken gehört haben – das ist und bleibt eine Herausforderung für uns.
Und wie ist die Situation mittlerweile?
Wir haben immer noch viel zu tun, aber die Arbeit im Team funktioniert super. Es fühlt sich oft an, als würden wir schon ein ganzes Jahr zusammenarbeiten, das ist nicht selbstverständlich. Ich würde sagen, mein Generalsekretärs-Kollege in Leipzig, Gerasimos Bekas, und ich ergänzen uns sehr gut – dank und trotz unserer unterschiedlichen Backgrounds.
Kannst du ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern wie es für dich persönlich war, von einem Tag auf den anderen deine Rechtsanwalts-Kanzlei aufzugeben?
Das scheint als eine große Umstellung, aber praktisch hatte ich nicht das Gefühl, dass es eine sehr große Veränderung war. Ich denke das liegt daran, dass die Ziele des DGJW sehr eng mit meiner Biographie verwebt sind. Die Zeit an der Deutschen Schule und Schulaustausche haben mich schon früh geprägt. Ich sehe mich als Brückenbauerin – wenn andere Menschen irgendwann ein ähnliches Gefühl haben, wäre das ein großer Erfolg.
Ist dir in der Anfangsphase viel Skepsis begegnet?
Natürlich gab es Leute, die uns gegenüber skeptisch und kritisch waren oder sind, aber dies ist schnell wieder abgeebbt. Ich glaube, dass wir mit unserer Arbeit zeigen werden, dass niemand Angst zu haben braucht, dass das DGJW eine politische Funktion einnimmt.
Es gab auch Kritik an deinem politischen Engagement als Vorsitzende der Jugendorganisationen der Nea Dimokratia in Thessaloniki.
Eine Persönlichkeit hat viele Aspekte und mein politisches Engagement ist nur einer davon. Das Jugendwerk ist kein politisches Instrument, das verspreche ich. Ich vertrete die Meinung: Deine Arbeit und Taten zeigen, wer du bist und ich hoffe, dass diese Menschen am Ende meiner Amtszeit eine andere Meinung dazu haben werden. So oder so lasse ich mich von diesen Stimmen nicht beeindrucken: Mein Ziel ist es, das Beste rauszuholen für das DGJW.

Lass uns noch über die Zukunft sprechen: Was beschäftigt dich momentan besonders?
Große Themen auf unserer Prioritäten-Liste sind, wie man virtuelle und hybride Austausche stärken kann und wie der schulische Austausch an Fahrt aufnehmen kann. In diesem Bereich hatten wir noch keine Anträge, aber das hatten wir auch nicht erwartet, weil die Schulen wegen der Pandemie noch vorsichtig sind. Wir wollen das Angebot aber noch mehr verbreiten. Ein weiteres großes Thema ist, das System der Zentralstellen auch hier in Griechenland aufzubauen.
Gibt es daran ein starkes Interesse von Trägerseite?
Ja, es gibt ein paar größere Träger, die eng mit uns zusammenarbeiten und andere bereits über das DGJW informieren. Wir planen damit, dass wir Anfang 2022 die ersten Zentralstellen aufbauen können und vielleicht Rahmenverträge abschließen – nach der Trägerkonferenz können wir mit mehr Sicherheit sagen, wer dafür in Frage kommt, Vielleicht können auch die Zentralstellen in Deutschland beim Aufbau unterstützen. Wenn das Konzept bekannter ist, kann das nämlich auch dazu führen, dass der Jugendaustausch überall stärker Fahrt aufnimmt und nicht nur im deutsch-griechischem Kontext.
Und auch im Bereich Erinnerungsarbeit soll noch in diesem Jahr eine Fachkonferenz stattfinden?
Ja, wir haben eine bilinguale Projektkoordination gefunden, die Anfang Oktober beginnt und von einer Praktikantin unterstützt wird. Zusammen bereiten sie eine Fachkonferenz Ende des Jahres vor. Mein Wunsch wäre, auch Drittmittel aus Griechenland zu bekommen, um eine zweite Kontaktstelle hier zu schaffen – vielleicht ist das für griechische Träger eine niederschwelligere Kontaktmöglichkeit. Aber klar ist auch: Wir arbeiten in jedem Bereich büroübergreifend zusammen – das ist ja das Tolle. Auch für uns ist das ein spannender Prozess, denn jetzt sind ausnahmsweise wir in der Position der Antragsteller – und können besser verstehen, warum die Träger im April so viele Fragen hatten.
Maria Sarigiannidou wuchs in Thessaloniki auf und besuchte dort die Deutsche Schule. Sie hat Rechtswissenschaften in Thessaloniki, Köln und München studiert und in Thessaloniki als Anwältin gearbeitet. Seit Anfang April 2021 leitet sie das griechische Büro des Deutsch-Griechischen Jugendwerks in Thessaloniki.
Zum vollständigen Interview mit Generalsekretärs-Kollege Gerasimos Bekas.
Interview: Lisa Brüßler
Fotos: Maria Sarigiannidou
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