Der Verein Inwole e.V. in Potsdam ist in der Pandemie vermehrt auf digitale Formate umgestiegen, Eigentlich glaubt der Verein aber fest an persönliche Erlebnisse und Erfahrungen und das Lernen mit Kopf, Hand und Herz. Ein Interview über nachhaltige und solidarische Wohnformen, Kooperationen mit Griechenland und Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Petar, Sie arbeiten beim Projekthaus Potsdam bzw. dem Verein Inwole e.V, zur Förderung innovativer Lebensformen. Was macht der Verein genau?
Petar Atanackovic: Der Verein ist seit 16 Jahren im Bereich Politische Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) tätig. Wir sitzen auf dem Gelände vom Projekthaus Potsdam-Babelsberg. Das ist ein Potsdamer Wohnprojekt, das über eine gute Infrastruktur für vielfältige Projekte in Bereichen Jugend- und Erwachsenenbildung verfügt. Wir betreiben das Werkhaus Potsdam, das einzige „Haus der Eigenarbeit“ in der Region mit Werkstätten wie einer Holz-, Textil-, Keramik-, Fahrradwerkstatt und einer eigenen Schmiede. Wir haben aber auch Seminar- und Übernachtungsräume: Unser Verein ist seit 2013 als Jugendbildungsstätte und seit 2019 als Weiterbildungsstätte vom Land Brandenburg anerkannt.
Und es gibt auch Überschneidungen zwischen dem Verein und dem Wohnprojekt?
Ja, einige von uns sind im Verein tätig und gleichzeitig BewohnerInnen vom Wohnprojekt. Diese Erfahrungen von Wohnen und Leben in einem Wohnprojekt nutzen wir oft für die Entwicklung unserer Bildungsprojekte im Bereich nachhaltige Stadtentwicklung, gemeinschaftliche und solidarische Wohnformen oder Gruppenkonflikte und -dynamiken.

Sie sind als Koordinator der Bildungsstätte sind auch mit den (internationalen) Bildungsprojekten betraut.
Ja genau, ich beteilige mich seit etwa zehn Jahren an der Gestaltung der Bildungsprojekte in unserem Verein. Davor habe ich in Serbien gewohnt, dort komme ich ursprünglich her. Auch da habe ich eine ähnliche Arbeit bei einem Verein gemacht, der eine serbische Partnergruppe vom Inwole war und immer noch ist.
Welche weiteren Kooperationen gibt es neben Serbien?
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Partnergruppen aus Frankreich, Ost- und Südosteuropa wie Russland, der Ukraine oder Kroatien zusammen. Mit Gruppen aus Osteuropa haben wir uns vor allem mit Menschen- und Bürgerrechten und mit Gruppen aus Südosteuropa auch mit Themen in Bezug auf Krieg und Frieden beschäftigt. Wir behandeln auch geschichtsbezogene Themen, wie etwa Widerstand im Zweiten Weltkrieg und Gedenkkultur in Verbindung mit dem Ersten Weltkrieg.
Sie haben auch schon Austausche zum Thema nachhaltige und solidarische Wohnformen mit Partnern in Griechenland durchgeführt. Was genau haben Sie auf die Beine gestellt?
2018 hatten wir erste Kontakte mit dem Verein Ethos aus Thessaloniki. Das kam eher zufällig zustande, hat sich aber im Laufe letzter Jahre zu einer tollen Partnerschaft entwickelt. 2019 haben wir ein erstes Projekt durchgeführt, bei dem der Schwerpunkt auf Herausforderungen in der außerschulischen Jugendbildungsarbeit in Bezug auf die Krise lag. Grundsätzlich ging es dabei um ein Kennenlernen: Wir haben verschiedene Vereine, Einrichtungen und Projekte in Athen, Thessaloniki, Katherini und Kilkis besucht und haben VertreterInnen der Gruppen aus diesen Städten bei uns in Potsdam empfangen. Daraus haben sich Kooperationen entwickelt, unter anderem ein Projekt mit dem Verein „Communitism“ aus Athen mit dem Fokus auf BNE. Wir haben auch ein erstes Projekt im Rahmen von Erasmus+ auf die Beine gestellt. Leider hat sich unsere Zusammenarbeit durch die Pandemie aber deutlich verlangsamt und verschoben.





Was hat sich denn in Bezug auf das Thema Wohnen bei den Begegnungen gezeigt?
2019 haben wir uns u.a an einer Veranstaltung über gemeinschaftliche und solidarische Wohnformen in Athen beteiligt. Wir haben Konzepte und Projekte vorgestellt und sind dabei auf viel Interesse von AkteurInnen wie Vereinen, Einrichtungen, Wohnprojekt-Initiativen, Gruppen von Geflüchteten oder Uni-MitarbeiterInnen gestoßen. Die Wohnproblematik hat vielfältige Facetten und betrifft unterschiedliche Menschen und Gruppen auf ähnliche Weise. Durch Entwicklungen wie Kommerzialisierung, Privatisierungen, Preiserhöhungen oder Gentrifizierung ist das Recht auf Wohnen gefährdet.
Haben Sie dabei große Unterschiede zwischen den Realitäten in Deutschland und Griechenland festgestellt?
Es sind nicht nur besondere Randgruppen oder die ärmere Bevölkerungsschicht, die betroffen sind, sondern immer breitere Schichten der Gesellschaft. Das Thema ist in beiden Ländern auf ähnliche Weise präsent – in Griechenland vielleicht noch mehr, weil viele Strukturen, auf die in Deutschland zurückgegriffen werden kann, etwa staatliche Einrichtungen, Förderprogramme oder ethische Banken dort überhaupt nicht vorhanden sind. Es besteht ein Bedarf in Bezug auf innovative Lösungen im Bereich des Wohnens. Die vorhandenen Ressourcen sind begrenzter als in Deutschland, aber die Menschen sind genau so einfallsreich und bräuchten nur etwas Input und Ermutigung, um sich damit dauerhaft damit auseinandersetzen zu können.
Können sich Organisationen bei Ihnen melden, die gern mit Ihnen zusammenarbeiten würden?
Ja, wir würden uns freuen, neue Partnergruppen zu finden. Wir wollen uns nicht nur auf das Thema Wohnen beschränken, sondern uns auch andere Themen aus dem Themenbereich nachhaltige Entwicklung vornehmen. Dazu gehören zum Beispiel gesellschaftliches Engagement, Vereinsarbeit, Projektmanagement, soziale Innovation und vielleicht auch soziales Unternehmertum.
Momentan kommt man ja an einem Thema kaum vorbei: Die Pandemie. Gibt es etwas, das sich für Sie als Verein in den letzten Monaten offenbart hat?
Die Pandemie hat unsere Arbeit in vieler Hinsicht verändert. Wir sind ziemlich gut durch die Krise gekommen, in mancher Hinsicht sind wir noch stärker geworden: Unser Team hat sich im Lauf der letzten Monate sogar vergrößert, wir haben Teile unserer Arbeit, vor allem in der Verwaltung, in hohem Maße digitalisiert und hybride Veranstaltungsformate durchgeführt. Digitale Formate haben einige Vorteile, vor allem was Treffen und Absprachen mit Partnergruppen in anderen Ländern betrifft, aber sie können Live-Begegnungen in keinem Fall ersetzen. Denn es geht nicht nur um Projektinhalte und das Vermitteln von Kenntnissen, sondern auch um Erlebnisse und Erfahrungen. Genau das entspricht unserem Bildungskonzept: Einem Lernen mit Kopf, Hand und Herz.
Interview: Lisa Brüßler
Fotos: Petar Atanackovic, Sandra Wildemann
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