Rolf Stöckel ist Beauftragter für die Anbahnung des Deutsch-griechischen Jugendwerks und zieht seine persönliche Jahresbilanz. Gerade bei den Austauschprogrammen ist viel passiert, die politischen Verhandlungen kommen dagegen nur langsam voran.
„Im Jahre 2016 gab es neue Bewegung, Kontakte und Entwicklungen in der praktischen und persönlichen Zusammenarbeit, viel Engagement von aktiven Jugendlichen, Ehrenamtlichen, Fachkräften und neue, insgesamt etwa hundert Begegnungen und Projektpartnerschaften im deutsch-griechischen Jugendaustausch.
Das Sonderprogramm Griechenland des BMFSFJ, das 2016 erstmals zur Verfügung stand, hat wesentlich dazu beigetragen. Aber auch private Institutionen wie die Robert-Bosch-Stiftung mit ihrem Projekt „start“, der Ausbildung von jungen griechischen Kulturmanagern und die Kreuzberger Kinderstiftung mit der Förderung griechischer Kinder- und Jugendprojekte und Reisestipendien für deutsche Jugendliche. Diese konnten im Sommer hautnah Projekte besuchen und persönliche Griechenlanderfahrungen sammeln. Sie werden sich weiter engagieren und haben den Kreis der engagierten Mitstreiter*innen und auch der Themen für den Austausch vergrößert.
Die Deutsch-Hellenische Wirtschaftsvereinigung hat mit den Stadtwerken der Stadt Köln und der Kommune der Insel Kefallonia erstmals ein vorbildliches Austauschprojekt für Auszubildende organisiert. Gemeinsam mit dem Deutschen Jugendherbergswerk, seinem Landesverband Unterweser-Ems und der griechischen Organisation FILOXENIA haben wir ein Kooperationsprojekt zur Unterstützung eines griechischen Jugendherbergswerks gestartet. Es gab natürlich weitere Projekte, die ich hier nicht alle beschreiben kann und die auf hier auf agorayouth.com vorgestellt werden.
Das Interesse von Vereinen, insbesondere auch der Bürgermeister und Schulen in Griechenland an Informationen, Austausch und gemeinsamen Projekten mit deutschen Partnern ist, wie die letzte Deutsch-Griechische Versammlung Anfang November in Nafplio eindrucksvoll bestätigte, sehr groß. Es kommt jetzt darauf an, die Strukturen zu schaffen, die diese Wünsche realisieren können.
Zwei interessante Fachveranstaltungen des BMFSFJ zur Erinnerungsarbeit und zur politischen Bildung im deutsch-griechischen Jugendaustausch die vom Fachinstitut IJAB hervorragend vorbereitet wurden, haben dazu beigetragen, dass die bilaterale Jugendarbeit und ihre Akteure auf deutscher Seite sich praktisch qualifizieren und austauschen konnten. Ebenfalls ein großer Dank von meiner Seite geht an die Fachstelle IJAB für die regionalen Informationsveranstaltungen für neue deutsche Träger hinsichtlich der Förderung durch das Sonderprogramm, das dank der Haushaltsbeschlüsse des Deutschen Bundestags im November auch im Jahre 2017 mit einigen Verbesserungen fortgesetzt werden kann.
Die Praxis der deutsch-griechischen Jugendarbeit, das Engagement vieler Menschen und das konkrete Handeln der Regierungen scheinen bei allen Absichtserklärungen leider in unterschiedliche Richtungen zu laufen.
Das Jugendwerk verzögert sich
Es war ein Jahr, in dem die Verhandlungen, vor allem wegen vieler Personal- und Zuständigkeitswechsel sowie innenpolitischer Konflikte in den Regierungsparteien in Griechenland, bis zum Herbst praktisch kaum vorangekommen sind.
Erst im Oktober wurden die Verhandlungen der Arbeitsebenen der Ministerien in Athen wieder aufgenommen und es kam zu der Verabredung, den Jugend-und Fachkräfteaustausch weiterzuentwickeln, über einen Zeitplan und die Ausrichtung eines II. griechisch-deutschen Jugendforums in Thessaloniki Anfang März 2017 in Nachfolge des Treffens im November 2014 in Bad Honnef.
Bei einem Besuch des zuständigen griechischen Generalsekretärs für Jugend und lebenslanges Lernen, Pausanias Papageorgiou, im November in Berlin bestätigte dieser im anschließenden Interview mit der Deutschen Welle, das sich die Gründung eines Jugendwerks mit Deutschland um weitere zwei Jahre verzögern wird. Und zwar weniger aus finanziellen Gründen (hier hatte die deutsche Seite immer Entgegenkommen signalisiert), sondern weil die deutschen Vorstellungen analog der Jugendwerke mit Frankreich und Polen, nicht denen seines Ministeriums und der Situation Griechenlands entsprächen.
Dabei betonte Papageorgiou die Diskrepanz zwischen einer gewachsenen zivilgesellschaftlichen, pluralistischen Jugend- und Verbandsarbeit in Deutschland und den ausschließlich parteipolitisch gefärbten Jugendorganisationen in Griechenland. Hier gäbe es eine engagierte Gesellschaft und in Griechenland das Bildungsministerium als Partner, „daraus könne kein gutes Ergebnis entstehen“. Die Netzwerke zivilgesellschaftlichen Engagements, die Aktiven und Basisvereine, die sich in sehr schwierigen Zeiten in Griechenland für Jugendliche und Jugendarbeit einsetzen, sprach der Generalsekretär nicht an.
Die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte, insbesondere der Besatzung durch NS-Deutschland im 2. Weltkrieg sei nicht Sache von Jugendarbeit- und -austausch und „man habe sich nun auf die Themen und Fragen geeinigt, die noch im Vorfeld der Errichtung eines Jugendwerks bis zum Jahr 2019 gelöst werden müssten“.
Dass wir einen langen Atem haben müssen, war immer klar. Aber im Herbst 2017 sind Bundestagswahlen, ob und wann es Neuwahlen in Griechenland gibt, ist noch nicht absehbar. In welchen Konstellationen zukünftige Regierungen am Ziel des Jugendwerks und ihren Absichtserklärungen festhalten werden, steht angesichts der aktuell wenig berechenbaren politischen Stimmungen wohl noch in den Sternen. Das hatten sich Bundespräsident Gauck und Staatspräsident Papoulias 2014 in Langiadis wohl anders vorgestellt und erhofft.
Realität bleibt, es muss auf Augenhöhe und ohne Druck auf einen Partner verhandelt werden und am Ende eine Einigung geben. Die politische Dimension des Projekts auch im Sinne der europäischen Integration darf aber nach meiner Einschätzung dabei nicht aus dem Blickfeld rücken, wenn wir Europas Jugend, die Demokratie und Integration gegen nationalistische, rassistische und antidemokratische Anfeindungen stärken wollen.
Der Umgang mit Flüchtlingen, die sozialen Lagen, die Inklusion und insbesondere Berufsperspektiven für Jugendliche sind darum wichtige Themen im deutsch- griechischen Jugendaustausch, denen sich im neuen Jahr einige Projekte intensiv widmen werden.
Ich bin trotz alledem zuversichtlich, dass die Vernunft und die vielen Engagierten in beiden Ländern, mit denen ich auch in diesem Jahr wieder zusammenarbeiten durfte und die durch unsere Netzwerkarbeit immer mehr werden und sich neue Impulse für die Jugendarbeit beider Länder durch ein Deutsch-Griechisches Jugendwerk erhoffen, gute Entscheidungen der Verantwortlichen in den Regierungen bewirken werden.
Ich möchte mich herzlich für die Unterstützung und viele Freundschaften die in diesem Jahr neu entstanden sind, bedanken und freue mich auf die weitere, gute Zusammenarbeit im Jahre 2017.
Ich wünsche allen persönlich Gesundheit, besinnliche Festtage und alles Gute für das neue Jahr!“
Rolf Stöckel, Beauftragter für die Anbahnung des Deutsch-griechischen Jugendwerks beim BMFSFJ
Unna, 21. Dezember 2016