„Interkulturelle Erfahrungen sollten nicht aus finanziellen Gründen scheitern“

Dass Jugendaustausche den Horizont erweitern, ist allseits Konsens. Was das praktisch für diejenigen bedeutet, die ihre Heimat noch nie länger verlassen haben oder im Ausland waren, ist selten Thema. Warum benachteiligte junge Menschen besonders stark in den Planungsprozess eines Austauschs einbezogen werden sollten berichtet Daniela Küllmer von der Werkstatt für junge Menschen im nordhessischen Eschwege im Interview.

Agorayouth: Frau Küllmer, im Mai vergangenen Jahres haben wir Ihren Aufruf nach einer griechischen Partnerorganisation veröffentlicht. Wie ist es danach weitergegangen?
Daniela KüllmerWir konnten Kontakt zur Organisation „Filoxenia Intercultural-Environmental Organisation“ in Kryoneri auf dem Peloponnes aufbauen. Im digitalen Austausch wurde nach kurzer Zeit deutlich, dass es für die gemeinsame Organisation einer Jugendbegegnung essenziell ist, sich persönlich kennenzulernen und austauschen zu können. Dank der Flexibilität, Offenheit und Bereitschaft von Filoxenia fuhren wir von der Werkstatt für junge Menschen Eschwege bereits im Juni zu einem ersten Fachkräfteaustausch nach Kryoneri. Dort hat sich herauskristallisiert, dass wir im Rahmen unserer berufsvorbereitenden Maßnahme „AQUA“ bei einer Jugendbegegnung gemeinsam den Austausch über unterschiedliche Wege der Berufswegplanung, Berufsorientierung bis hin zu Ausbildungsmöglichkeiten untereinander eröffnen wollen.

Durch die Erfahrung von Filoxenia in der interkulturellen Jugendarbeit und unsere Erfahrungen in der Bildungsarbeit und der Jugendberufshilfe haben wir uns in der Kooperation bei der Durchführung des Fachprogrammes im Februar und der Jugendbegegnung im April dieses Jahres sehr gut ergänzt. 

Worum ging es denn Ende Februar bei dem Fachkräfteaustausch bei Ihnen in Eschwege?    
Daniela Küllmer
Bei unserem ersten Besuch in Kryoneri wurde deutlich, dass berufsvorbereitende Maßnahmen in Griechenland (noch) nicht geläufig sind und sich die Berufsbildungssysteme unterscheiden. Das gemeinsame Erfahren und Kennenlernen der Strukturen unseres Vereins Werkstatt für junge Menschen, das voneinander und miteinander Lernen und sich über die jeweiligen Sozialstrukturen und Lebenswelten in Deutschland und Griechenland auszutauschen war das Ziel. Es zeigte sich, dass in Deutschland berufsvorbereitende Maßnahmen durch staatliche und private Mittel der Wirtschaft gefördert und ermöglicht werden – was in Griechenland noch nicht möglich ist.

Sie besuchten gemeinsam auch historische Orte in der Umgebung.
Daniela Küllmer
Genau, durch den Besuch einer Synagoge und eine Führung durch das Grenzmuseum in Bad Sooden-Allendorf haben wir unseren Gästen die unterschiedlichen Seiten der deutschen Geschichte nähergebracht und den Austausch zu diesbezüglichen geschichtlichen Erfahrungen in Griechenland geöffnet. Besonders für die junge Generation unserer Teilnehmenden ist die gemeinsame Erinnerungsarbeit ein wichtiger Baustein in der Bildung. Daher sollte dies auch Bestandteil des Programmes der Jugendbegegnung im April werden.

Die Jugendbegegnung planten wir dann gemeinsam mit den Jugendlichen aus dem AQUA-Projekt. Wir konnten uns so vor der Jugendbegegnung persönlich kennenlernen und gemeinsam Programmwünsche und Vorstellungen diskutieren.

War es schwierig, genug Jugendliche für die Begegnung zu finden? Welche Hürden oder Schwierigkeiten sind Ihnen begegnet?
Daniela Küllmer
Das Interesse der Jugendlichen war zu Beginn groß und einige haben nicht verstanden, warum sie nicht mitfahren können: An unserem AQUA-Projekt nehmen auch einige geflüchtete junge Menschen teil, bei denen es aufgrund ihres Aufenthaltsstatus leider nicht möglich war an der Jugendbegegnung teilzunehmen. Andere Teilnehmende sind aufgrund persönlicher Problemlagen z.B. Unzuverlässigkeit ausgeschieden. Für einige Teilnehmenden war es die erste Auslandserfahrung, daher waren eine gute Vorbereitung und die Beteiligung im Planungsprozess der Begegnung besonders wichtig.

Worum ging es dann vor Ort in Griechenland? 
Daniela Küllmer
Da es für viele die erste Auslandsreise in ihrem Leben war, war es eine besonders spannende und prägende Zeit für sie. Vom gemeinsamen Arbeiten im GaLa-Projekt über den Besuch der Berufsschule in Kiato und einem historisch-kulturellen Programm über die Geschichte der Rettung einer jüdischen Familie in Kryoneri und die Exkursion nach Kalavryta als wichtiger Teil der Auseinandersetzung mit der deutschen Besatzung auf dem Peloponnes im 2. Weltkrieg konnte viel erlebt werden.


Was wurde denn zu Fragen rund um Berufsorientierung und -einstieg oder Ausbildungsperspektiven deutlich?
Daniela Küllmer
Besonders prägend war im Austausch mit den griechischen Jugendlichen, dass die Familie und der familiäre Zusammenhalt eine zentrale Rolle in ihrem Leben einnimmt und ihre berufliche Zukunft beeinflusst. Viele Familien aus dem Dorf leben von der Landwirtschaft und es ist klar, dass die Jugendlichen irgendwann dort mithelfen. Da es keine finanziellen Unterstützungen des Staates in Punkto Förderung während der Ausbildung gibt, sind die Jugendlichen auf die Unterstützung ihrer Familien angewiesen. Zum Teil ist keine Ausbildung oder ein Studium möglich, da entweder in der Landwirtschaft mitgeholfen wird oder sie auf Gelegenheitsjobs angewiesen sind, um ihre Familien zu unterstützen. All dies erschwert natürlich die Entwicklung hin zu einem unabhängigen und selbstbestimmten Leben. 

Unsere Jugendlichen waren zudem verwundert, dass es so etwas wie berufsvorbereitende Maßnahmen in Griechenland nicht gibt und auch Praktika noch nicht so geläufig sind. Beim Besuch des örtlichen Jugendzentrums gab es eine spannende Diskussion über die Organisation und Finanzierung der Jugendzentren. Dabei ist unseren Jugendlichen bewusst geworden, dass es an staatlichen und kommunalen Fördermitteln für die Jugendarbeit und auch an Ausbildungsförderung fehlt. Alle waren sich darin einig, dass die erfolgreiche soziale und berufliche Eingliederung junger Menschen für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft eine ganz entscheidende Funktion hat.

„Da einige unserer Teilnehmenden zuvor noch nie im Ausland waren und zum Großteil auch noch nicht mehrere Tage von zuhause weg waren, war es uns sehr wichtig, sie gut vorzubereiten.“

Daniela Küllmer

An welchen Punkten muss man vielleicht auch mit Blick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Teilnehmenden eventuell künftig nachsteuern?
Daniela Küllmer
Die Eindrücke und Erfahrungen für die Teilnehmenden und auch für uns Fachkräfte waren sehr vielfältig. Vor Ort in Kryoneri haben wir gemerkt, dass wir neben konstruktiven Arbeitsphasen, auch darauf achten müssen, die Jugendlichen nicht zu überfordern und genügend Raum für Austausch und Entfaltung innerhalb der Gruppe zu geben. Insgesamt ist für uns mit der Beschäftigung mit Projekten im Bereich der deutsch-griechischen Begegnungen ab Ende 2021 eine spannende Arbeitsphase mit einigen Hoch- und ein paar Tiefpunkten gestartet. Da einige unserer Teilnehmenden zuvor noch nie im Ausland waren und zum Großteil auch noch nicht mehrere Tage von zuhause weg waren, war es uns sehr wichtig, sie gut vorzubereiten. Deswegen haben wir bereits einige Monate vor der Begegnung mit der Auswahl der Teilnehmenden begonnen und uns regelmäßig in einer Gruppe auf das Projekt vorbereitet. 

Auch war es uns ein Anliegen, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus benachteiligten Familienverhältnissen oder mit wenig finanziellen Ressourcen die Möglichkeit zu geben, an der Begegnung teilzunehmen. Daher war es in Punkto Finanzen wichtig, für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen. Interkulturelle Erfahrungen für junge Menschen sollten nicht aus finanziellen Gründen scheitern. Durch die Erfahrungen, die die Teilnehmenden im Rahmen einer Jugendbegegnung sammeln, können sie wachsen und bleibende Erinnerungen schaffen.

Ihr Tipp für andere Organisationen, die sich auf einen ähnlichen Weg machen wollen?
Daniela KüllmerMutig sein und sich trauen, eine Jugendbegegnung anzugehen! Die Arbeit in Punkto Vorbereitung und Organisation lohnt sich und zahlt sich aus, denn die gesammelten Erfahrungen der Teilnehmenden lassen den vorherigen Stress schnell vergessen. Empfehlenswert ist es unserer Meinung nach, frühzeitig mit der Planung und Vorbereitung zu beginnen und die Teilnehmenden aktiv mit einzubeziehen. Hilfreich ist auch, sich über die Plattform DINA International zu vernetzen und am DGJW-Beratungscafé teilzunehmen.

Wie geht es jetzt weiter? Soll die Partnerschaft mit einer Ihrer nächsten „AQUA“-Gruppen fortgesetzt werden?
Daniela Küllmer
Mit der Rückreise ist das Projekt Jugendbegegnung in Kryoneri noch nicht beendet. Bei Nachbereitungstreffen erstellen unsere Jugendlichen in Zusammenarbeit mit dem Medienwerk Werra-Meißner einen Videoclip über die Jugendbegegnung. Für die Zukunft sind weitere gemeinsame Projekte angedacht. Gemeinsame Überlegungen, eine Jugendbegegnung bei uns in Eschwege zu organisieren oder aber auch mit neuen AQUA-Teilnehmenden wieder nach Kryoneri zu reisen, stehen auch im Raum.


Interview: Lisa Brüßler
Foto: Daniela Küllmer


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