Jugendlich sein in Griechenland: Eigeninitiative nötig

Staatlich geförderte Jugendarbeit, wie es sie etwa in Deutschland gibt, ist in Griechenland nicht vorhanden. Die meisten Informationen erreichen Jugendliche über die Schule – gefragt ist vor allem Eigeninitiative von Organisationen, Jugendgruppen und kommunalen Einrichtungen. Merle Klingenberg hat sich umgehört, wie griechische Jugendliche an Rat und Unterstützung gelangen.

In Deutschland gibt es eine recht gute außerschulische Infrastruktur für Kinder und Jugendliche. Sie können in Jugendclubs, Jugendzentren oder Jugendkulturhäuser gehen. Es existieren eine Reihe an Beratungs- und Anlaufstellen zu den verschiedensten Aspekten wie Berufsorientierung, aber auch zu gesundheitlichen Fragen. In Griechenland gibt es dagegen keine staatlich geförderte außerschulische Jugendarbeit oder Jugendberatungsstellen. „Es gibt nicht so viele Möglichkeiten, wenn Jugendliche Ratschläge für die berufliche Laufbahn brauchen. Es gibt einige Zentren mit Expert*innen, die bei der Berufswahl helfen können, zum Beispiel von der Regierung oder von privaten Unternehmen“, berichtet die 20-jährige Eleni Koumparidou aus Thessaloniki. Die meiste Beratung komme aber von der Schule mit Veranstaltungen oder Kooperationen mit Expert*innen – dies komme aber immer auch auf die jeweilige Schule an, fügt Koumparidou hinzu. So gebe es auch junge Menschen, die keinen Zugang zu Beratungsangeboten hätten oder nicht wissen, wie sie dies in Anspruch nehmen können.

In Griechenland existiert ebenfalls kein Jugendhilfesystem: So gibt es beispielsweise kein Jugendhilfegesetz und kein Sozialamt für gesonderte Jugendunterstützung. Auch Stiftungen, die exklusiv die Jugend ansprechen oder Jugendarbeit als explizites Ziel verfolgen, sind so nicht vorhanden. Es gibt jedoch einige Stiftungen, die unter anderem auch Projekte für Kinder und Jugendliche unterstützen und oft zu Kooperationen mit dem Ausland bereit sind. Es bestehen zudem nur wenige formalisierten Jugendgremien, in denen sich Jugendliche austauschen können, Projekte planen oder ihre Interessen vertreten können.


Wen um Rat fragen?
All dies zeigt meines Erachtens: In Griechenland hat die Jugend eine geringe Priorität. „Ich persönlich weiß von keinem Jugendzentrum. Ein solcher Ort ist vielleicht ein Sommercamp, aber das gibt es nur im Sommer und meistens ist die Teilnahme nicht umsonst. Die meisten Jugendlichen gehen einfach an Orte, an denen sich andere junge Leute aufhalten und lernen auf diese Weise neue Leute kennen. Auch wenn man zum Beispiel Sport treibt oder eine Fremdsprache lernt ist das eine Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen“, erzählt Eleni Koumparidou mir. Was Hilfeleistungen im Fall der Fälle angeht sagt sie: „Ich kann mir keinen Ort vorstellen, an dem man Hilfe bekommt, wenn man sie braucht.“

Außerhalb der Schule gebe es kein System, das Kinder und Jugendliche auffängt. Die Strukturen dafür seien nicht vorhanden und entstünden wenn mehr aus der Not heraus als vorbeugend. Meistens stehe die Bürokratie im Weg, erzählt Jugendarbeiter Panos Poulos von der Organisation Filoxenia in Kryoneri auf dem Peloponnes. Seinen Angaben zufolge gib es in Griechenland etwa 60 Jugendarbeiter*innen. Der Beruf sei in Griechenland nicht als solcher anerkannt und durch die fehlenden außerschulischen Kinder- und Jugendhilfestrukturen gebe es auch kein Angebot praxisorientierter pädagogischer Ausbildungen für Jugendsozialarbeit, -bildung oder -kulturarbeit, erzählt Poulos.

Ehrenamtliche Angebote als Ausgleich zum staatlichen Mangel
Doch nur weil die Jugendarbeit in Griechenland nicht vom Staat institutionell gefördert wird, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Es gibt eine ganze Reihe an Nichtregierungsorganisationen, ehrenamtlichen Vereinen oder freien, kommunalen Einrichtungen, die Kinder- und Jugendaktivitäten anbieten. Ein Beispiel dafür ist Filoxenia. Der interkulturelle Umweltverein im Bergdorf Kryoneri hat seinen Fokus auf die Bereiche Umweltbildung, Jugendprojekte, Menschenrechte und internationale Programme, wie etwa Jugendaustausche gelegt. Regelmäßig kommen Freiwillige über das Europäische Solidaritätskorps (ESK) in das Dorf.

Diese bringen sich vor allem in zwei Bereichen ein: Zum einen leisten sie Erinnerungsarbeit und klären über die Geschichte des Ortes auf, vor allem zu NS-Zeiten. Zum anderen unterstützen sie die lokale Gemeinschaft mit Angeboten und Workshops für die Dorfbewohner*innen, wie beispielsweise Tischtennis, Standardtanz oder auch Sprachunterricht. Diese finden meist wöchentlich statt – teilnehmen kann, wer Zeit und Lust hat. Meist kommen Jugendliche aus Kryoneri selbst, da die Wege in den Bergen weit sind. Durch die wechselnden Aktivitäten bekommt der 900-Einwohner*innen-Ort eine große Vielfalt an außerschulischer Bildung geboten.

Da der Staat kein Geld für Vereine wie Filoxenia bereitstellt, finanzieren diese sich meist durch Erasmus+-Programme, Mitglieds- und Teilnahmebeiträge, EU-Jugendprogramme, Spenden und Förderungen von Stiftungen oder werden projektbezogen von internationalen Organisationen unterstützt. Auch die Förderung des Deutsch-Griechischen Jugendwerks (DGJW) wird an einigen Orten als Chance für verstanden, dass Jugendliche ihren Horizont erweitern können.


Text: Merle Klingenberg
Fotos: Jan Blachura

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