Ein Austausch führte Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse des Gymnasiums Traben-Trarbach und der Deutschen Schule Athen auf eine Reise in die gemeinsame Geschichte beider Länder – erst in Rheinland-Pfalz, dann in Griechenland: Im Dorf Distomo hatte die Gruppe Ende April die Chance, mit dem Zeitzeugen Argyris Sfountouris, der 1944 das Massaker dort überlebte, zu sprechen.
Im September 2022 ist ein Erasmus+-Austauschprogramm zwischen der Deutschen Schule Athen (DSA) und dem Gymnasium Traben-Trarbach in Rheinland-Pfalz gestartet. Die Austauschpartner*innen von der DSA und ihre Lehrerin Regina Wiesinger fühlten sich sehr wohl in ihren Gastfamilien in Traben-Trarbach und erlebten ein emotionales Austauschprogramm. Dazu gehörte etwa ein Besuch im Landtag in Mainz inklusive Planspiel, ein Gespräch mit der Zeitzeugin Edith Erbrich in den Kammerspielen Mainz und ein Besuch der Synagoge Trier.
Der Kontakt zwischen beiden Gruppen blieb bestehen und rund ein halbes Jahr später war es dann endlich soweit: Die zwölf Schüler und sechs Schülerinnen des Leistungskurses Geschichte starteten Ende April mit ihrer Lehrerin Anette Heintzen zum lang ersehnten Rückbesuch nach Athen. Der thematische Schwerpunkt des Austauschprogramms lag auf der Gedenkarbeit, die in beiden Schulen eine wichtige Rolle spielt. Das Zeitzeugengespräch mit dem 82-jährigen Argyris Sfountouris im Kloster Hosias Loukas bei Distomo wird wohl niemand vergessen können. Doch dazu später mehr…




23. April – Athen
Bei unserer Ankunft in Athen gegen Mitternacht war uns etwas seltsam zumute, denn unser Hotel lag in einer der ärmlicheren Gegenden Athens. Nach der Teilnahme an Shedia – Invisible Tours sollte sich unsere Sicht auf die Gegend und die Situation vieler Athener*innen komplett ändern….

Los ging der neue Tag mit einer Führung auf der Akropolis mit Vanda Refene-Epstein und einem anschließenden Besuch des Akropolismuseum mit den griechischen Schüler*innen. Auch die Wachablösung am Syntagmaplatz stand auf dem Programm.



24. April – Athen
Der Tag stand im Zeichen von Workshops an der DSA mit Regina Wiesinger und der DSA erinnert-AG. Dort wurde das Zeitzeugengespräch mit Argyris Sfountouris vorbereitet. Der Tag begann mit der Begrüßung von schon im September bei uns gewesenen Schüler*innen. Um die neuen Mitglieder der „DSA erinnert“-Gruppe kennenzulernen, sollten wir uns nach Geburtsdaten von jung nach alt anordnen. Als Vorbereitung auf das Zeitzeugengespräch versuchten wir zudem die richtige Reihenfolge einiger früherer Interview-Ausschnitte herauszubekommen.
In der DSA bekamen wir eine Führung durch ihre Klassenräume, die Kunsträume, die unseren sehr ähnelten, die Bibliothek, das Schwimmbad und den neuen Sportplatz.
Um zur Schule zu gelangen, nutzen einige der Schüler*innen die öffentlichen Verkehrsmittel, die in der Oberstufe aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. Manche werden auch gefahren, was mit dem Berufsverkehr morgens zu viel Stau führt. Es gibt Schüler*innen, die einen Schulweg von einer Stunde auf sich nehmen, um zur DSA zu gelangen. Um diese Schule besuchen zu können, müssen die Eltern Schulgeld bezahlen. Einige haben das Geld nicht, daher bekommen manche finanzielle Unterstützung durch Verwandte. Diese können auch aus dem Ausland kommen. Einige Eltern verzichten auf vieles, um ihren Kindern den Besuch der DSA oder einer ähnlichen Schule bieten zu können, bekamen wir mit. Um später bessere Chancen auf einen guten Beruf zu haben, machen einige auch beide Abiture, das griechische und das deutsche. Auch die deutsche Sprache lernen viele schon seit dem Kindergarten. Als wir uns über das Abitur unterhalten haben, erfuhren wir, dass in Griechenland fast alle Schüler*innen zusätzlich Nachhilfe bekommen, um bestmöglich auf das Abitur vorbereitet zu sein.
Bei den meisten bleibt nicht viel Zeit für Hobbys. Manche schaffen es jedoch, Zeit dafür zu finden, wie zum Beispiel Amalia und Constanze, die Klettern gehen. Mario macht Leichtathletik, Yannis spielt Hockey und Niko spielt Volleyball. Constanze erzählte uns, dass sie sich viel mit ihren Freunden trifft, zum Beispiel abends in Bars, was in Griechenland eigentlich kein Problem ist, da so gut wie nie nach dem Ausweis gefragt wird. Ebenso kommt man auch unter 18 in manche Clubs gut rein.




25. April – Athen
Shedia ist eine Organisation, die im Zusammenhang mit der Finanzkrise in finanzielle Not geratenen Menschen wieder einen Lebensinhalt, eine Aufgabe ermöglicht. Sie bietet z.B. Schlafplätze und ärztliche Versorgung an. Das Konzept geht aber darüber hinaus: Es gibt ein eigenes Café/Restaurant, unterstützt von einem Sternekoch, designed von einem Stararchitekten. Dort finden Obdachlose eine Arbeit und danach hoffentlich irgendwann auch eine Wohnung. Im Eingangsbereich hängen Häuser, die für jeden Obdachlosen stehen, dem eine Wohnung ermöglicht wurde, Schiffe für jeden gefundenen Arbeitsplatz.
Die Obdachlosenzeitung Shedia hat viele Abonnent*innen und es gibt sie inzwischen auch in Braille-Schrift. Aus Altpapier werden nachhaltige Alltagsgegenstände und Kunstobjekte hergestellt, die zugunsten der Obdachlosen verkauft werden. Eine bemerkenswerte Initiative, die neben Stadtrundgängen auch Workshops anbietet.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Armut in Griechenland ist meist kein Thema in der Berichterstattung. Umso wichtiger ist es, nicht nur die Touristen-Hotspots einer Stadt kennenzulernen. Invisible Tours bietet eine Tour durch Athener Viertel an, die früher gehobene Wohnviertel waren, aber jetzt ziemlich heruntergekommen sind. Geführt wurden wir von Akis Marangozakis, einem Sozialarbeiter und Michalis, der 2012 in die Armut gerutscht ist, nachdem ihm der Laster seiner Firma gestohlen wurde. Eine Diebstahlversicherung für LKWs ist in Athen nicht erschwinglich. Seitdem lebt er auf der Straße.
Während es vor der Corona-Pandemie noch einige Hilfsangebote für Obdachlose gab, beispielsweise jeden Tag eine Ration Essen, für die man aber oft nachweisen musste, dass man obdachlos ist, gibt es inzwischen noch sehr viel mehr Obdachlose. Auch die Zahl der Drogenabhängigen ist gestiegen. Viele Obdachlose wurden während der Finanzkrise drogenabhängig, da die Drogen sehr billig waren, aber nach der Finanzkrise wurde alles teurer und die Drogenabhängigen brauchten eine neue billige Alternative. Deswegen ist seit geraumer Zeit die Droge Sisa im Umlauf. Sie beinhaltet Batteriesäure und zerstört den Körper von innen, wurde uns geschildert.
Am Nachmittag besichtigten wir außerdem noch das Nationalarchäologische Museum.





26. April – Distomo
Der Höhepunkt des Programms stand an: Das Zeitzeugengespräch mit Argyris Sfountouris im nahe des Dorfes Distomo gelegenen Klosters Hosios Loukas. Die Schüler*innen der „DSA erinnert“-AG führten uns durch das Kloster. Argyris Sfountouris ist einer der Überlebenden des Massakers in Distomo. Am 10. Juni 1944 wurde der 2. Kompanie des I / 7-Bataillons der 4. SS-Polizei-Division befohlen, das Gebiet von Partisanen zu „säubern“. Daraufhin massakrierten sie brutal 218 Dorfbewohner ohne Vorwarnung und unabhängig von Alter oder Geschlecht.
Sfountouris kam als erster Sohn und jüngstes von vier Geschwistern zur Welt. Seine Eltern und viele Familienangehörige kamen bei dem Massaker ums Leben. Seine Großeltern und seine Schwestern überlebten. Sfountouris wuchs danach in einem Waisenhaus und einem Kinderheim in Piräus und Athen auf und wurde mit acht Jahren mit anderen Waisenkindern in die Schweiz umgesiedelt. Später studierte er an der ETH Zürich Mathematik, Kernphysik und Astrophysik, promovierte und wurde Physiklehrer. Parallel begann er zu schreiben und griechische Texte zu übersetzen. In den 1980er Jahren arbeitete er als Entwicklungshelfer.
Ein Ausschnitt aus dem Gespräch (TW Tod)👇
Nach dem eindrucksvollen Gespräch ging es in einer Taverne in Aspra Spitia, dem Strandort von Distomo.
27. April – Athen
Am Vormittag besuchten wir das Jüdische Museum mit Maria Vasilikou, die an der MOG-Seite mitgewirkt hat. Am Nachmittag stand ein Besuch des berüchtigten Gestapo-Folterkellers in Korai 4 (Memorial Site 1941-1944) auf dem Programm. In diesem hielten die Deutschen griechische Widerstandsleistende in engen Zellen gefangen.
An den Wänden wurden Zeichnungen der Gefangenen freigelegt. Diese mussten die Insassen damals auf Anweisung der deutschen Soldaten überstreichen. Hier sieht man einen der drei Toilettenräume für zwei Etagen mit hunderten Gefangenen. Den ganzen Besuch über herrschte bei uns ein sehr beklemmendes Gefühl.






28. April – Insel Ägina
Auf zu einem Ausflug auf die Insel Ägina! Den Tag verbrachten wir mit Volleyballspielen am Strand, Eisessen und dem Erkunden der Insel. Schon die Fahrt auf der Fähre war besonders, weil die meisten von uns selten auf das offene Meer kommen. Äginas gesamte Szenerie war wunderschön. Das konnten wir auf dem Plateau des Aphaiatempels am besten sehen.
In der Nähe des Strandes haben wir in verlassenen Gebäuden eine Ziege entdeckt, was zum Namen der Insel passt: Ägina, die Ziegeninsel. Abends trafen sich alle zu einem letzten Essen und verabschiedeten sich voneinander.








29. April – Athen
Mit Hilfe einer von der DSA erinnert-AG entwickelten Interaktiven Stadtplan wurden an unserem letzten Tag Stätten der nationalsozialistischen Besatzungsgeschichte in Athen sichtbar. Dann ging es auch schon zurück in die Heimat.



Besonderes Erlebnis: Austausch mit griechischen Feuerwehrleuten
Wir saßen eines Abends zu viert in einem Restaurant mitten in einer Fußgängerzone und haben zu Abend gegessen. Das Haus neben unserem Restaurant war abgebrannt. Die Fläche darum war immer noch abgesperrt und ein Feuerwehrfahrzeug und vier bis fünf Feuerwehrmänner waren dort im Einsatz. Sie mussten immer wieder einen Balken im Dachgeschoss löschen, der ab und zu erneut anfing zu qualmen.
Nachdem wir im Restaurant fertig gegessen hatten, haben wir uns vor die Absperrung gestellt und alles beobachtet. Luna, die Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr ist, hat sich sehr für den Einsatz interessiert und als die Feuerwehrmänner das erkannt hatten, kamen wir mit ihnen ins Gespräch. Wir durften hinter die Absperrung und einer der Männer hat Luna das Feuerwehrauto gezeigt. Natürlich mussten wir Englisch sprechen, was manchmal ein bisschen schwierig war. Aber wie sagt man so schön: Wir verständigten uns mit Händen und Füßen. Die Männer waren bereits seit 23 Stunden im Dienst und hatten noch eine Stunde am Einsatzort zu verbringen. Da begannen wir, Unterschiede zum Leben in Deutschland zu erkennen.
Als sie uns dann noch ihren Nachtisch schenkten, redeten wir weiter mit ihnen. Sie interessierten sich sehr für unsere Athen-Reise und wir waren interessiert an ihren Ansichten über Griechenland und Deutschland. Wir sprachen über Schule, Kultur, Sprachen und auch über Distomo und die Nazi-Besatzung. Sie haben uns gefragt, wie intensiv das Thema in deutschen Schulen gelehrt wird. Wir antworteten, dass man zwar sehr viel über den Nationalsozialismus lernt, aber das Thema Griechenland dabei etwas untergeht. Sie waren sehr erfreut darüber, dass wir daran arbeiten, den Menschen in Deutschland die Geschichte von Griechenland und Distomo etwas näher zu bringen. Im griechischen Schulsystem wird laut den Männern viel über Distomo gesprochen.


Es gibt viele kulturelle Unterschiede, aber es gibt auch eine gewisse freundschaftliche Verbindung zwischen Deutschland und Griechenland. Es war toll, sich mit Einheimischen auszutauschen und anzufreunden. Aus Respekt vor einem so langen Arbeitstag und als Dankeschön für die Quarkbällchen, die sie uns geschenkt hatten, brachten wir den Feuerwehrmännern später noch ein Eis zum Feierabend. Das war ein Highlight der Woche und wir hatten sehr viel Spaß miteinander.
Was bleibt
Uns fiel immer wieder auf, dass in Griechenland Musik eine große Rolle spielt. Moritz kaufte sich am ersten Tag eine Ukulele, die er, wie Mario, ein griechischer Austauschschüler, im September bei uns auch, immer dabei hatte. Sehr zur Freude der Gruppe, aber auch anderer Mithörer*innen.
Eine Challenge während des Austausches bestand darin, wer die meisten Katzen an einem Tag zählte – es waren einige!
Besonders prägend waren die intensiven Begegnungen mit den griechischen Austauschpartner*Innen, aber auch das Kennenlernen von Shedia. „Es war eine einmalige Chance, eine kulturreiche Stadt von so vielen Seiten zu sehen.“ reflektiert Emmy. „Der Austausch war eine fantastische Gelegenheit, nicht nur über Geschichte und Kultur, sondern auch etwas über uns selbst zu lernen.“, sagt Finn. Tim fand die Studienreise so faszinierend und eindrucksvoll, dass er sie hoffentlich nie vergessen wird.




Texte und Fotos: : LK Geschichte Gymnasium Traben-Trabach und Anette Heintzen
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Alle Teilnehmenden bedanken sich bei der EU und dem Erasmus+-Programm für das Ermöglichen dieses Austauschs. Die entstandenen Freundschaften und Erinnerungen an die vielen gemeinsamen Unternehmungen werden lange Bestand haben und wir verstehen Griechenland jetzt viel besser.
