Taktik, Material, Unterschiede und Gemeinsamkeiten im ehrenamtlich organisierten bürgerschaftlichen Engagement – darüber tauschten sich in diesem Frühjahr erstmals Nachwuchsführungskräfte im Bevölkerungsschutz aus Deutschland und Griechenland aus. Über das, was beide Länder voneinander lernen können, hat Organisator Konstantinos Lazaridis von der Johanniter-Unfall-Hilfe mit agorayouth gesprochen.
Dass der Hamelner Konstantinos Lazaridis selbst auch in Thessaloniki geboren wurde, hat sicherlich dabei geholfen, das Austauschprojekt mit der ehrenamtlich arbeitenden Bevölkerungsschutzorganisation Hellenic Union for Search and Rescue Thessaloniki Ελληνική Ένωση Έρευνας και Διάσωσης Θεσσαλονίκης (EEED) ins Leben zu rufen. Den Kontakt zu der Organisation gewann der Fachlehrer Rettungsdienst von der Johanniter-Akademie Niedersachsen/Bremen über eine Erasmus+-Mobilität und den staatlichen griechischen Rettungsdienstes EKAB. Lazaridis entwarf mit Heiner Mansholt, der bei der Johanniter Akademie für Bevölkerungsschutz zuständig ist, und mit dem Counterpart Orestis Rossios in Thessaloniki einen Plan für den ersten Austausch von Nachwuchskräften im Bevölkerungsaustausch.
Die Einbindung der Zivilbevölkerung in den beiden Ländern im Bereich Bevölkerungsschutz unterscheidet sich erheblich. Unter ‚Bevölkerungsschutz‘ werden in Deutschland alle Aufgaben und Maßnahmen des Bundes im Zivilschutz sowie die Aufgaben und Maßnahmen der Kommunen und Länder im Katastrophenschutz verstanden. Dabei verschmelzen unterschiedliche Teilaufgaben und Zuständigkeiten verschiedener Verwaltungsebenen. In einem lokalen Katastrophenfall erhalten Kommunen etwa Hilfe von haupt- und ehrenamtlichen Einsatzkräften, zum Beispiel von den Feuerwehren, dem Technischen Hilfswerk (THW) und den privaten Hilfsorganisationen, zu denen neben den Johannitern auch das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser, der Arbeiter Samariter Bund und die Deutsche Lebens Rettungsgesellschaft gehören.

In Griechenland ist ehrenamtliches Engagement im Bevölkerungsschutz und im öffentlichen und vom Staat finanzierten Rettungswesen noch
weitgehend unbekannt. Es gebe viele kleine Vereine und Gruppen, vor allem in Thessaloniki, berichtet Lazaridis, aber die unterschiedlichen Strukturen seien überwiegend nicht im Gespräch miteinander. Das gelte auch für die Partizipation in Ausbildung, Übung und reellem Geschehen.
Bemängelt werde von den Gruppen häufig die fehlende finanzielle Unterstützung des Staates und die fehlende Anerkennung. Der Benefit davon, sich in eine größere Struktur einzugliedern, werde häufig nicht gesehen. Auch was Jugendarbeit und das Heranziehen von Nachwuchs vom Kindesalter an angehe, gebe es nur wenige Initiativen. Gleichzeitig zeigten die engagierten Kräfte eine unheimlich hohe Motivation: „Sie leisten das Engagement in ihrer eigenen Freizeit und mit ihrem eigenen Geld. Freistellungen oder Lohnersatzleistungen wie wir sie kennen, gibt es nicht“, berichtet er. Auch die Aus- und Fortbildung und die Ausstattung werde selbst organisiert und finanziert.
Agorayouth: Kosta, du hast die Austausche in Niedersachsen/Bremen und in Thessaloniki organisiert – worum geht es dir bei diesem Pionierprojekt im Bereich Bevölkerungsschutz?
Kostantinos Lazaridis: Ich verspreche mir für die deutsche Seite, dass sie ein bisschen geerdet wird und sieht, was man auch ohne viel Geld und ohne eine tolle Ausstattung alles schaffen kann. Die Griechen sind stark im Leben in der Lage und in der Improvisation! Was ich mir für sie erhoffe ist, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass das „sich organisieren“ hilft und, dass Demokratie nur funktioniert, wenn man sie selbst mitgestaltet. Aber auch bei uns besteht noch Nachholbedarf, zum Beispiel was ein europäisches Bewusstsein angeht – auch bezogen auf den Bevölkerungsschutz.
Agorayouth: Man hört: Der Austausch auf Augenhöhe ist dir besonders wichtig…
Lazaridis: Ja, für mich persönlich ist der Politische Bildungsauftrag das Wichtigste. Also bürgerschaftliches Engagement zu vermitteln, ein modernes Demokratieverständnis, Mitgestaltung, Empowerment und das Ganze im großen europäischen Kontext. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir die griechische Seite gern dabei unterstützen, dass sie in 10 bis 15 Jahren – und von solchen Zeiträumen sprechen wir – auch zum Beispiel dahin hinkommen, wo wir heute stehen. Vor 60 Jahren waren die Johanniter oder die Malteser ja auch nicht organisiert wie sie es heute sind.
Agorayouth: Ende Februar kam die EEED mit 14 Mitgliedern nach Niedersachen und Bremen. Was stand bei der Begegnung im Fokus?
Lazaridis: Es ging um das Kennenlernen und darum, aufzuzeigen, wie breit wir gefächert sind als Hilfsorganisationen und wie wir uns aber auch wieder partiell spezialisieren – und wie in aus diesem Zusammenspiel ein Output generiert wird. Auch wollten wir zeigen, wie die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt praktisch funktioniert und dass alle taktisch eine Sprache sprechen. Deswegen waren wir auch bei Ortsverbänden in Nordenham oder Elsfleth unterwegs – und auch beim THW und beim Rettungsdienst.






Steigen wir ein in die Praxis: Was habt ihr bei eurem ersten Aufeinandertreffen miteinander geübt?
Lazaridis: Wir haben Höhenrettung und die Rettung aus engen Räumen geübt. Auch ging es um die Basics der Teamkommunikation und der Führung bis zur Gruppenebene, also bis zu 12 Leuten. Dass die griechischen Führungskräfte eine speziellere Schulung brauchen, ist bei einem Gruppenführertraining in Langenhagen als Thema aufgetaucht. Da haben wir gesehen, dass die Taktik sehr improvisiert und personenbezogen ist. Wir haben dann zwei weitere Durchgänge gemacht mit minimalen Veränderungen in Bezug auf den Auftrag. Es war beeindruckend wie stark und schnell der Lerneffekt ausfiel, eben weil die Teilnehmenden schon Kompetenzen mitgebracht haben.
Agorayouth: Und wie kamen die Eindrücke aus Deutschland an?
Lazaridis: Unterschiedlich! Einige waren beeindruckt von der Technik, andere von der Ausbildung. Was insgesamt gut angekommen ist, ist dass das Haupt- und Ehrenamt so stark kooperiert – also die Bevölkerungsschutzkultur, die wir hier pflegen.
Agorayouth: Ende März ging es zur Rückbegegnung nach Thessaloniki – da waren dann nochmal andere Leute dabei?
Lazaridis: Genau, das Kernteam blieb bestehen, aber es waren neue Leute dabei, weil natürlich nicht alle Zeit für beide Besuche hatten. In Deutschland ist so ein Austausch im Bevölkerungsschutz als Bildungsurlaub anerkannt, in Griechenland ist das leider nicht so: Es gibt eine Zahl maximaler Fehltage im griechischen Bildungssystem – die gilt unabhängig davon, ob man krank ist, an einer Katastrophenschutzübung teilnimmt oder ein Feuer löschen ist.
Agorayouth: Worum ging es im zweiten Teil des Austauschs schwerpunktmäßig?
Lazaridis: Wir haben uns mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in den Strukturen des Bevölkerungsschutzes befasst und u. a. den griechischen Rettungsdienst EKAB besucht. Es ging aber auch um konkrete Fragen, etwa zu Risiken und Ressourcen in der Stadt, Einsätze bei chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Gefahren (CBNR-Gefahren), die Wasserrettung, die Rettung mit Seiltechniken und um eine Einführung in die Waldbrandbekämpfung.








Agorayouth: Welche konkreten Bedarfe sind für dich bei den Austauschen deutlich geworden?
Lazaridis: Für die Griechen ist es definitiv eine gemeinsame Führungsausbildung, um zu lernen, praktisch eine Sprache zu sprechen. Das wäre ein Ziel für das nächste Jahr. Wichtig wäre auch eine transparentere Ausbildung: Der Zuständige bei der Feuerwehr oder der Kommune weiß nicht, was die einzelnen Gruppen genau machen und was sie können oder nicht können. Dass sich das strukturell klärt, erhoffe ich mir in einem ersten Schritt. Wenn es um fernere Ziele geht, dann wäre das, dass ordentliche Verbandsstrukturen erarbeitet werden und auch Jugendarbeit betrieben wird.
Agorayouth: Du hast anfangs die Improvisationsfähigkeit der Griechen genannt. Was können denn unsere Strukturen dahingehend von Griechenland lernen?
Lazaridis: Wir stellen seit einiger Zeit fest, dass es immer weniger Leute gibt, die sich langjährig und konstant engagieren – vor allem am selben Ort. Gleichzeitig steigt der Anteil der spontanen Helfer. Deswegen entwickeln wir an der Akademie mittelfristig Konzepte, wie wir mit diesem Wechsel umgehen können und wie wir zum Beispiel unsere eingebundenen Ehrenamtler auch in der Führung von Spontanhelfern ausbilden; darin sind die Griechen bereits sehr gut.
Agorayouth: Ihr leistet Pionierarbeit mit eurem Austausch. Welche Tipps hast du für andere Vereine, die sich auf einen ähnlichen Weg machen wollen?
Lazaridis: Man braucht immer wenn man international arbeitet Toleranz und eine gewissen Aufgeschlossenheit, weil jedes Land andere Organisationsstrukturen und einen anderen Rhythmus hat. Das ist auch für die Organisatoren wichtig, denn sie müssen genau das allen Teilnehmenden bewusst machen. Wichtig ist außerdem, zeitliche Reserven zu schaffen und nicht alles streng durchzutakten, damit man auf Spontanes reagieren kann. Und grundsätzlich sollte man sich immer überlegen: Was können wir lernen? Und nicht nur: Was können wir besonders gut? Dann findet der Austausch auf Augenhöhe statt und alle Beteiligten profitieren.
Hier geht es zum Interview auf Griechisch.
Interview: Lisa Brüßler
Fotos: Dennis Weiss, Bettina Martin, Stefan Greiber, Johanniter-Akademie Niedersachsen-Bremen
Ein Gedanke zu “Bevölkerungsschutz: Pionier-Austausch zwischen Deutschland und Griechenland gestartet”