Wie können junge Menschen aus dem gemeinsamen Erbe Deutschlands und Griechenlands schöpfen? Die Konferenz „Es war einmal. heute – Jugend im Fokus der deutsch-griechischen Beziehungen“ fand vom 28. bis 30. Mai in der bayrischen Landeshauptstadt München statt und versuchte Antworten zu geben. Ein Veranstaltungsbericht.
„Es gibt Otto den Bayern, der eine große Rolle in den deutsch-griechischen Beziehungen gespielt hat, es gibt Otto Rehagel und das erste Goethe-Institut der Welt hat 1952 in Athen eröffnet. Inzwischen haben mehr als 300.000 Griechen ihren Wohnort in Deutschland gefunden und das deutsche Wirtschaftswunder wäre ohne die Hilfe der griechischen Einwanderer nicht möglich gewesen“, zählte Thomas Thomer, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), die Erfolge in den Beziehungen beider Länder auf. Das BMFSFJ und das Ministerium für Bildung, Forschung und Religiöse Angelegenheiten der Hellenischen Republik hatten Multiplikatorinnen und Teamer von deutsch-griechischen Jugendbegegnungen eingeladen, sich zwei Tage lang auf der Konferenz „es war einmal. heute“ über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszutauschen – und das im hellenistisch geprägten München.
Verhandlungen zu einem Deutsch-Griechischen Jugendwerk auf der Zielgeraden

Thomas Thomer (BMFSFJ) eröffnet die Konferenz in München.
Thomer sprach auch die Schattenseiten der gemeinsamen Vergangenheit an: „Die griechische Zivilgesellschaft zählt zu denen, die besonders stark unter der deutschen Besatzung gelitten hat – wirkliche Wiedergutmachung kann es da nicht geben, aber wir müssen zusammen in die Vergangenheit schauen, um die Lektionen für die Gegenwart und die Zukunft zu lernen.“ Dafür seien die Jugendlichen selbst, aber auch Einrichtungen wie Jugendwerke und Koordinierungsbüros die besten Botschafter, die er kenne. Die Verhandlungen zu einem Deutsch-Griechischen Jugendwerk (DGJW) befänden sich auf der Zielgeraden, so Thomer: „Wir hoffen, dass wir im Herbst diesen Jahres zu einem Abkommen kommen.“
Auch Vassiliki Papakonstantinou vom griechischen Generalsekretariat für Jugend und Lebenslanges Lernen sah das ähnlich: „Das Investieren in junge Menschen ist die effizienteste Investition, die ein Staat tätigen kann, denn die Dynamik und die Visionen der jungen Menschen sind ein unverzichtbarer Teil in modernen Gesellschaften“. Dennoch seien diese als bestausgebildetste Generation in Griechenland seit geraumer Zeit mit Verunsicherung und Arbeitslosigkeit konfrontiert und könnten kein autonomes Leben führen.
Die dreitägige Konferenz beleuchtet zahlreiche Facetten der historischen und politischen Beziehungen der beiden Länder. Unter den vier Überschriften „Philhellenismus und deutsch-griechische Kulturzusammenarbeit“, „Deutsche Besatzung in Griechenland“, „Solidarität damals und heute“ und „Griechen in Deutschland – Deutsche in Griechenland“ wurde sich in Workshops, Impulsreferaten und Podiumsdiskussionen ausgetauscht.
Tag 1: Philhellenismus und deutsch-griechische Kulturzusammenarbeit
„Der Philhellenismus war ein politisches, transnationales Phänomen – der Ausdruck von Solidarität in einem kritischen Moment der Geschichte als Griechenland seine Freiheit erlangen wollte“, erklärte Prof. Dr. Miltos Pechlivanos (Centrum Modernes Griechenland). Mit Materialien wie etwa einer Enzyklopädie, die sich in der Entstehung befinde, wolle man am CeMoG dazu beitragen besser zu verstehen „auf welchen Füßen wir stehen“, so der Professor. Er hoffe sehr auf das Jugendwerk, damit solche Themen stärker auf der Agenda ständen.

Lukas Kuth vom Jugendaustausch „Julius Stern goes Underground“
Das CeMoG stelle ein „bahnbrechendes Programm für die Kulturzusammenarbeit Deutschlands und Griechenlands“ dar, sagte Vassilia Triarchi-Herrmann (Präsidentin Stiftung Palladion), die die folgende Diskussion moderierte. Mit auf dem Podium diskutierten Josef Erhard (Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus), der das 2013 ins Leben gerufene Schüleraustauschprogramm „Griechenland – damals und heute“ des Ministeriums und der Stiftung Palladion vorstellte und Lukas Kuth (Julius Stern Institut), der von dem Jugendaustauschprojekt „Julius Stern goes underground“ zweier Orchester aus Berlin und Athen berichtete: „Der Austausch war trotz einiger Schwierigkeiten ein voller Erfolg, denn Musizieren verbindet fernab von Sprache und Vorurteilen. Per Livestream im nationalen Radio hatten wir dann auch ein tolles Ergebnis und im September kommen die Athener vom Underground Youth Orchestra dann nach Berlin“, erzählte der Videograph und Tonmeister (bald dazu mehr auf dem Blog).
Film& Kunst
Einen besonders interessanten Workshop stellte der von Altgriechisch-Lehrer Roland Jurgeleit dar, der mit seinen Schülern vom Benediktinergymnasium Ettal gekonnt Antike und Gegenwart verband: Mit dem Filmprojekt „Odysseus als moderner Flüchtling“ zog er die Begeisterung der griechischen Teilnehmer auf sich, die nicht glauben konnten, dass eine deutsche Schulklasse einen Film auf Altgriechisch mit einer modernen, gesellschaftlichen Komponente produziert hatte.

Dr. Margarita Tsomou, Ko-Kuratorin Diskussionsprogramm documenta 14.
Ko-Kuratorin des Diskussionsprogramm der documenta14, Dr. Margarita Tsomou, berichtete im letzen Programmpunkt des Abends von der modernen Kunstausstellung, die 2017 in Kassel und Athen stattgefunden hatte. Von Griechenland lernen hieß das Motto: „Um dort Ausstellungen zu installieren, mussten viele der Gebäude erstmal aufgebaut werden“, erzählte Tsomou. Das Vermittlungsprogramm sei bei der Ausstellung alternativ gestaltet gewesen, sodass sich die Kunstwerke vermehrt selbst angeeignet werden konnten. Gleichzeitig sei die d14 eine Weltkunstschau, die globale Entwicklungen abbilde und somit nicht zu einer deutsch-griechischen Kunstschau zu vereinfachen. „Ich hätte vom griechischen Publikum erwartet, dass man sich mehr öffnet und stelle mir die Frage, was ich hätte machen können, um das Publikum besser zu erreichen“, resümierte Tsomou in ihrem Impulsvortrag. Trotzdem glaube sie, dass es eine der wichtigsten Ausstellungen in der documenta-Geschichte war.
Tag 2: Deutsche Besatzung in Griechenland
Der Dienstagmorgen startete mit einem geschichtlichen Überblick zur Deutschen Besatzung in Griechenland, bevor eine Podiumsdiskussion die Erinnerungskultur im deutsch-griechischen Jugendaustausch in den Fokus nahm. Nach ersten Programmen mit Multiplikatoren aus den Opferdörfern, aus jüdischen Gemeinden und Fachtagen wurden thematische Jugendaustausche durchgeführt. Kostas Sianopoulos von der Cultural Association of Lechovo erzählte: „Als das erste Projekt bei uns in Lechovo beendet war, habe ich angefangen, mich noch mehr mit meinem Dorf zu beschäftigen. Wir haben eine formlose Jugendgruppe ins Leben gerufen um Interviews mit den Überlebenden zu machen. Daraus sind auch Aktivitäten entstanden und wir sind sogar mit europäischen Programmen ins Ausland gereist“, erzählte er.

Panel zur Erinnerungskultur im deutsch-griechischen Jugendaustausch.
„Im vergangenen Jahr wurde bei IJAB eine digitale Karte auf Deutsch erstellt mit Informationen zu den Opfergemeinden und welche Träger im Jugendaustausch Projekte an den Orten umgesetzt haben“, erklärte Dorothee Jäckering (BMFSFJ). Vorbild dafür war ein ähnliches Projekt aus dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk (DPJW).
JUMP: Wie Basketball Verbindungen schaffen kann
Dass Erinnern auch eher unbewusst und „nebenbei“ passieren kann, machte das Basketball-Austauschprojekt zwischen dem TuS Neukölln 1865 e.V. und der Anagennisi Servion deutlich: Till Thaler und Sokratis Brousiovas berichteten, dass sie bereits seit 2016 gemeinsam das Projekt „JUMP“ durchführen: „Die Jugendlichen aus Berlin und Servia haben durch den Sport eine gemeinsame Erlebnisebene und fühlen sich in die jeweils andere Lebenswelt ein. Und das an einem Ort, an den sie sonst nie gekommen wären“, berichtete Thaler. Dadurch könne Toleranz entstehen und daraus wiederum eventuell Solidarität und vielleicht auch Versöhnung im Bezug auf die Vergangenheit.
Insbesondere den jüngeren Teilnehmern und den Gästen aus Griechenland wurde bei den Exkursionen in das NS-Dokumentationszentrum München und in die deutsch-griechische Stadtgeschichte deutlich, was damit gemeint sein könnte. In den folgenden Workshops ging es dann nochmals um Beispiele der deutsch-griechischen Zusammenarbeit in der politischen und historischen Bildung, aber auch um die Rolle der Medien in den deutsch-griechischen Beziehungen.
Der Impulsvortrag von Versöhnungsforscher Prof. Dr. Martin Leiner, von der Friedrich-Schiller-Universität Jena veranschaulichte, dass Versöhnung eine komplexes Konzept ist, dessen Gründe noch zu wenig erforscht sind. In der interdisziplinären Versöhnungsforschung arbeiten mehrere Fächer zusammen – Politik, Medienwissenschaft, Geschichte, Theologie, Psychologie, Ökonomie, Linguistik, Pädagogik etc.
Solidarität damals und heute
Womit der Bogen zum Konzept der Solidarität fast geschlagen ist: Sigrid Skarpelis-Sperk (VDGG) sprach in einem Impulsvortrag über die für sie entscheidende Frage der Zukunft Europas: Die Zukunft der jungen Menschen: „Die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa, und speziell in Griechenland hat ein dramatisch hohes Niveau erreicht. Die fehlende Perspektive auf einen Job nach einem Studium, nimmt vielen die Hoffnung“, erläuterte sie den bekannten Status Quo und forderte einen systematischen Aufbau von öffentlichen Kooperationen in den Regionen Griechenlands und ein mutiges Investitionsprogramm für kleine und mittlere Betriebe. Das Deutsch-Griechische Jugendwerk sei ein Ort, um mit jungen Menschen über ihre Ideen für die Zukunft ins Gespräch zu kommen, so die ehemalige Bundestagsabgeordnete.
Daran anknüpfend fanden Workshops zur Sicherung der Rechte griechischer Arbeitnehmer in Deutschland statt, zur Internationalen Gewerkschaftskooperation UNIONS4VET (Interview auf dem Blog folgt) sowie zu europäischen Wegen aus der Krise, bevor es –ganz solidarisch– am Münchner Viktualienmarkt bayrisch essen zu griechischer Musik und Tanz ging.
Tag 3: Griechen in Deutschland – Deutsche in Griechenland

Zeitzeugengespräch mit Moderator Babis Karpouchtsis, Dr. Ioannis Zelepos, Theodoros Gavras und Sigrid Skarpelis-Sperk (v.l.n.r.)
„Arbeitsmigration damals und heute und ihre Auswirkungen auf die deutsch-griechischen Beziehungen“ hieß der Impulsvertrag von Dr. Ioannis Zelepos (Ludwig-Maximilians-Universität München) mit anschließendem Zeitzeugengespräch mit Theodors Gavras, Stadtrat aus München a.D., sowie Skarpelis-Sperk, die in der Zeit der ersten ankommenden griechischen Gastarbeit in Bayern im Studierendenausschuss der Universität saß. „Als ich als Gastarbeiter nach Bayern kam, lautete mein Plan zwei bis drei Jahre zu bleiben und dann wieder zurückzugehen nach Griechenland, um mir dort eine Existenz aufzubauen“, erklärte Gavras. Stets sei der Plan jedoch verlängert worden, inzwischen seien es mehr als 50 Jahre, erklärte der ehemalige Stadtrat Münchens, der nun zwischen beiden Ländern pendelt. „Die ersten Jahre waren die schwierigsten, denn auch die BRD plante, uns nur vorübergehend da zu behalten – es gab sogar ein Rotationsprinzip“, erklärte Gavras. „Viele Dinge sind heute viel besser: Einbürgerungsempfehlungen und unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen erleichtern die Integration, die inzwischen viel besser klappt als zu meiner Anfangszeit“, so Gavras.
Selbst zu Wort kamen junge Menschen dann im letzten Panel der Konferenz: Unter dem Titel „ Zukunftsweisende Kooperationen für junge Menschen“ berichtete Angelos Loukakis (Universität Kreta) über das Forschungsprojekt „Greece, Germany and the Eurozone Crisis in Public Attributions of Responsibility“ der Unversität Kreta und der der FU Berlin, das über das Deutsch-Griechische Forschungs- und Innovationsprogramm gefördert wird. Auf dem Podium saß auch Myrto Provida, die über ihre Zeit als Praktikantin im Deutschen Bundestag mit dem Internationalen Parlament-Stipendium (IPS) berichtete und Nadine Müller, die momentan ein Freiwilliges Soziales Jahr in Athen mit dem Programm ElanDe absolviert. In einem Worldcafé wurden sich abschließend die Projekte nochmals vorgestellt und sich auf Partnersuche für kommende Kooperationen gemacht, bevor es „Bis zum nächsten Mal“ hieß – vielleicht ja beim nächsten deutsch-griechischen Jugendforum im Oktober in Köln?
Die Konferenz wurde organisiert von der Georg-von-Vollmar-Akademie e.V. in Kooperation mit dem Bayerischer Jugendring, IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., der Stiftung Palladion und der VDGG – Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften e.V.
Text und Fotos: agorayouth
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