Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben Frauen in Griechenland rechtliche Gleichstellung erreicht. Damit veränderten sich zwar auch traditionell geprägte Rollenbilder – doch nicht überall mit der gleichen Geschwindigkeit. Beim Frauenverein Eryfilli im Bergdorf Kryoneri auf dem Peloponnes hat Merle Klingenberg nachgefragt, wie Mädchen und Frauen in ländlichen Gebieten politisch aktiv werden können und was sich noch tun muss..

An Rechten auf politische Teilhabe mangelt es auch in Griechenland nicht: Frauen sind den Männern gesetzlich gleichgestellt und es existiert eine Reihe von Gesetzen zur Gleichstellung, die Frauen vor Diskriminierung schützen sollen. Die ereignisreichsten Jahre waren hierbei die 1980er Jahre, in denen unter anderem die zivile Ehe und das Recht auf Scheidung eingeführt wurden und die Mitgift abgeschafft wurde. Doch in der praktischen Umsetzung der Gesetze gibt es immer noch Lücken: Bei den Löhnen und Gehältern gibt es Laut Zahlen von Eurostat eine Lücke bis zu 15 Prozent zwischen den Einkommen von Frauen und Männern. Zudem haben Frauen deutlich seltener Führungspositionen inne. Insbesondere in ländlichen Räumen haben Frauen mit stereotypen Rollenerwartungen was Hausarbeit, Kindererziehung oder Carearbeit angeht zu kämpfen. Nicht zuletzt hängt das auch mit dem traditionellen christlichen Familienbild und der starken Rolle der orthodoxen Kirche zusammen. Dazu kommt: Auch die Corona-Pandemie hat die Ungleichheit noch weiter verschärft.

Frauen zu wenig sichtbar im öffentlichen Diskurs
In vielen Berufen wie beispielsweise im Gesundheits- oder im Ingenieurswesen, in der Justiz und den Medien gibt es bereits ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis, teilweise auch in Chefetagen. Im öffentlichen Diskurs nehmen Frauen aber eine zu kleine Rolle ein. Und auch in der Politik sind Frauen in Griechenland weiterhin stark unterpräsentiert. Auch wenn Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou eine Frau ist, ist das nicht repräsentativ für das Land.

Von den 300 Sitzen im griechischen Parlament sind nur 60 von Frauen besetzt – das entspricht einem Anteil von 20 Prozent. Auch im Kabinett von Premierminister Kyriakos Mitsotakis ist der Frauenanteil sehr gering: Nur zehn der 58 Mitglieder sind weiblich – davon nur zwei mit Ministerrang. Hauptgründe dafür sind die fehlende Förderung der Beteiligung von Frauen, weit verbreitete Stereotype, Vorurteile und Phänomene wie „Mansplaining“, heißt es etwa bei der Deutschen Welle.

Partizipation ist der Schlüssel
Große Unterschiede herrschen auch zwischen Stadt und Land, erfahre ich auf dem Peloponnes. 2019 hat sich im kleinen Bergdorf Kryoneri der Frauenverein „Erifylli“ gegründet. In solchen Vereinen schließen sich Frauen zusammen, die soziale Anliegen oder Frauenfragen vorantreiben wollen. Die ersten Frauenvereine entstanden ab 1810 nach dem Vorbild der französischen Wöchnerinnengesellschaften und wurden in den unter französischer Verwaltung stehenden Städten Preußens eingeführt.

Vaso Bouziani und Maria Koufopoulou vom Frauenverein berichten vom Alltag und der Benachteiligung der Frauen in der Region, auf die sie mit dem Verein aufmerksam machen wollen. Als Corona kam, mussten die Aktivitäten erstmal ruhen – seit Februar 2022 trifft sich der Vorstand des Vereins jedoch wieder wöchentlich. Einmal im Monat gibt es zudem eine Vollversammlung der 62 Mitglieder, berichten die beiden Vorstände. Schwierigkeiten bereiten ihnen noch die Finanzierung und, dass es an einem Basisraum fehlt

Sie erzählen, dass während die Männer auf den Feldern arbeiten und sich Zuhause nicht engagieren, für Frauen sowohl Feld- als auch Hausarbeit auf dem Programm stehe. Viele der Frauen seien also gleichzeitig Bäuerin, Hausfrau, Mutter und Köchin, bekämen dafür aber nur wenig bis gar keine Anerkennung.

Eine Frage der Sichtbarkeit
Beide Frauen betonen, dass Mädchen und Frauen sozial und politisch aktiv werden müssen, damit sich etwas ändert. Im Dorf hätten die Männer das Sagen und seien somit auch gesellschaftlich sichtbar. Um dieses Ungleichgewicht zu korrigieren, müssten Frauen zuallererst mehr Selbstbewusstsein entwickeln. Vor allem junge Frauen verspürten jedoch Angst und wüssten nicht, wie sie sich verhalten sollen. Das fange schon in den Familien an, da oftmals die Väter vorschreiben, wie sich die Töchter zu verhalten haben, erzählen sie. Vaso Bouziani spricht dabei von einem Rollenproblem: Frauen seien oft zu ängstlich, um sich zu behaupten und folgten gesellschaftlichen Vorschriften wie etwa dem Befehl „Du musst Kochen lernen“. Zu wenige forderten bislang ihren Platz in der Gesellschaft ein.

Vaso Bouziani und Maria Koufopoulou vom Frauenverein „Erifylli“ in Kryoneri auf dem griechischen Peloponnes.  © Jan Blachura

Was also tun? Der Verein hat sich als Ziel gesetzt, das Land weiter zu entwickeln und die Grenzen für Partizipation für Mädchen und Frauen zu verschieben. Dazu wollen sie zum Beispiel mehr Tourist*innen und Gäste anziehen und die Einheimischen im Dorf halten – der Wegzug junger Menschen ist nämlich ein großes Problem vor Ort. Eine ihrer Ideen ist, dass Frauen aus dem Dorf an einem vom Verein organisierten Stand lokale Produkte wie Wein oder Kuchen verkaufen. Und wer weiß, vielleicht spricht sich die Idee ja auch in anderen Dörfern herum?

Text: Merle Klingenberg
Fotos: Jan Blachura

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