Was haben die nordgiechische Stadt Florina und das hessische Biebrich gemeinsam? Das Projekt „Two nations, one nature“ zwischen der Biebricher Riehlschule und dem 2. Gymnasium Florinas hat sich bereits vor vier Jahren zum Ziel gemacht, die gemeinsame Geschichte zu thematisieren. Agorayouth hat mit Schulsozialarbeiter Markus Mildner gesprochen, der den Austausch mitbetreut.
Agorayouth: Herr Mildner, „Two nations – one nature“ der Titel spielt einerseits auf das Natur-Klima-Thema des Jugendaustauschs zwischen dem 2. Gymnasium Florinas und der Biebricher Riehlschule an, andererseits auf die Erfahrung die man oft während einer internationalen Begegnung macht, gar nicht so unterschiedlich zu sein…
Marcus Mildner: Das ist bereits die vierte Runde unseres Projektes – im Januar war die griechische Gruppe für eine Woche zu Gast in Wiesbaden, jetzt Ende März, folgt der Gegenbesuch in Florina. Wir hatten jeweils 20 Schülerinnen und Schüler aus der siebten Klasse von beiden Seiten dabei. Als die griechische Gruppe in Deutschland ankam, warteten unsere Schüler mit Begrüßungsplakaten und voller Aufregung auf die gemeinsame Zeit in der Jugendherberge in Wiesbaden. Schon auf der Fahrt nach Wiesbaden, bahnten sich die ersten Kontakte an.
Agorayouth: Wie ging das so schnell?
Mildner: Steckbriefe und Skype haben da geholfen. Während der Begegnung haben wir dann mit einem Tandemsystem gearbeitet, bei dem ein griechischer und ein deutscher Jugendlicher während beiden Begegnungen Partner sind. Das heißt sie teilen ein Zimmer, erstellen eine gemeinsame Fotocollage über Familie, Hobbys, Sport, Musik und Idole. Schnell wurden Gemeinsamkeiten entdeckt und sich über die Schule und die unterschiedlichen Systeme ausgetauscht wie zum Beispiel auch über Mitbestimmung in der Schule.
Agorayouth: Und was stand auf dem Programm?
Mildner: Es gab einen Gesprächsabend an dem Biebricher erzählen, wie sie von Florina nach Wiesbaden gekommen sind, wie das für sie war und jetzt ist, noch in Wiesbaden zu leben. Bei einem Empfang beim Sozialdezernenten lernten sie auch den Festsaal des Rathauses kennen und beim Besuch im Landesmuseum im Bereich Natur und in der Kunstabteilung brachten wir den Griechen unsere regionale Tier- und Pflanzenwelt näher. Der Spaziergang entlang des Biebricher Rheinufers mit überwältigendem Blick auf das Schloss führten zu großem Erstaunen. Während eines Besuchs im Erfahrungsfeld der Sinne im Schloss Freudenberg gab es Einblicke in die nonverbale Kommunikation, aber auch sportliche Programmpunkte wie Bowling, Schlittschuhlaufen und ein Kletterhallenbesuch schweißten die Gruppe zusammen und brachen die Sprachbarrieren.
Agorayouth: Das klingt so, als ob die Gruppe sehr schnell zusammenfand.
Mildner: Ja, die Stadtralley wurde zum Beispiel in gemischten Kleingruppen durchgeführt, bei der sie Gruppenselfies an verschiedenen Orten machten und Aufgaben erfüllen mussten. Am letzten Abend gab es dann noch eine kleine Abschiedsfeier mit griechischen Tänzen und auch Tänzen aus anderen Nationen. Am Wiesbadener Bahnhof flossen dann am nächsten Tag sehr viele Tränen.
Agorayouth: 2018 findet ja die bereits die vierte Auflage des Projekts statt: Wie entstand die Idee?
Mildner: Da muss ich etwas ausholen: 2011 ist Wiesbaden in den „Kommune goes international“-Prozess miteingestiegen – schnell wurde ersichtlich, dass internationale Jugendbegegnung und die damit verbundene Kompetenzsteigerung bei den Jugendlichen, auch ein sehr gutes Format für die Schulsozialarbeit sind. Die Idee, internationale Jugendbegegnungen anzubieten und damit eine Zielgruppe zu erreichen, die sonst nicht an internationalen Jugendbegegnungen teilnimmt, stößt auch in der Schule auf großes Interesse. Die Schule ist in einem Stadtteil mit Kindern aus vielen Nationen sowie finanziell schwachen Familien angesiedelt.
Agorayouth: Und wieso ausgerechnet Florina?
Mildner: Ein Lehrer der Schule, der selbst aus der Region Florina stammt, stellte zum dortigen Schulleiter Kontakt her. Er war sofort Feuer und Flamme und 2012 konnte die erste Reise beginnen. Florina als Partner für die Jugendbegegnung zu gewinnen, ist insoweit interessant, da viele Gastarbeiter in den sechziger Jahren aus Florina kamen um in Biebrich zu arbeiten und zu wohnen. Und auch in Florina kommt es immer wieder zu Begegnungen mit Bürgerinnen und Bürgern, die lange in Biebrich gelebt haben. Deswegen wird die Begegnung auch von dem Biebricher Verein „Florina“ unterstützt. Mittlerweile ist auch nicht mehr die Schulsozialarbeit Antragsteller, sondern die Schule hauptverantwortlich für das Gesamtprojekt.
Agorayouth: Und was steht jetzt Ende März in Florina an?
Mildner: Bei der Rückbegegnung übernachten wir zwei Nächte in Florina und besuchen die Schule. Es wird auch eine Stadtrallye geben, einen gemeinsamen Abend an der Schule zu dem auch die Eltern eingeladen sind, und einen Ausflug ins Bärengebiet. Dann werden wir zum Schlittenfahren im Skigebiet Viggia und an den Prespa-See, ein großes Naturreservat, aufbrechen. Dort wird es vor allem um die Natur, Pelikane und andere Zugvögel, Fischerei, Bootsbau, Bohnenanbau und die Geschichte der Umgebung gehen, aber wir treffen auch auf andere Jugendliche aus der ländlichen Umgebung. Dazu wird auch das gemeinsame Basketballspielen und Tanzen gehören.
Agorayouth: Eine weitere Besonderheit ist, dass es an der Riehlschule die Möglichkeit gibt, Neugriechisch zu lernen. Wie kam es zu dem Sprachangebot?
Mildner: Die Schülerinnen und Schüler können sich für das Wahlpflicht-Unterrichtsfach „Internationale Jugendbegegnung Griechenland“ einwählen. Zuvor gibt es eine Informationsveranstaltung mit Bildern und Erfahrungen aus dem vorherigen Austausch. Die Nachfrage ist immer größer als die angebotenen Plätze, sodass letztendlich das Los entscheidet. Der Unterricht findet wöchentlich mit zwei Schulstunden während eines gesamten Schuljahres statt, sodass auch eine Verbindlichkeit gewährleistet ist. Während den Begegnungen nimmt eine weitere Lehrkraft des Jahrgangs 6 teil, sodass sie im folgenden Jahr das Wahlpflicht-Angebot übernehmen kann.
Agorayouth: Die Schülerinnen und Schüler organisieren den Austausch aber auch selbst mit. Wie muss man sich das vorstellen?
Mildner: Im Wahlpflichtunterricht werden viele Ängste genommen, auch weil die Schülerinnen und Schüler sich erst einmal kennenlernen müssen. Dort wird auch über die Reise besprochen, es wird ein kleines Reiselexikon erarbeitet und es geht natürlich auch um die Sprache. Auch mit Kultur und Esskultur wird sich beschäftigt und gemeinsam überlegen sie sich ein Programm für den Austausch. Und nach der Reise wird die Schulgemeinde und die Stadtteilkonferenz über die Reise unterrichtet, sodass auch andere Einrichtungen und Kinder und Jugendliche mehr darüber erfahren. Auf einem Elternabend bekommen dann auch die Eltern noch mal das Erlebte genauer mit.
Agorayouth: Das heißt, dass sich viele Schülerinnen und Schüler auch über die Reise hinaus noch für den Austausch einsetzen?
Mildner: Genau, die ehemaligen Teilnehmer unterstützen hin und wieder im Wahlpflichtunterricht und nehmen so vor allem denen, die große Angst vor der Begegnung haben, die Furcht und überzeugen sie so in der Regel mitzufahren. Viele von ihnen halten dann auch den Kontakt nach Griechenland, sodass es immer mal wieder zu gegenseitigen Besuchen kommt. Zum Beispiel leitete eine ehemalige Schülerin im Januar die griechischen Tänze an und übersetzte bei den Gruppenspielen. Von den Lehrern höre ich immer wieder, dass sich die Schülerinnen und Schüler nach der Begegnung verändert haben und Verbesserungen bei den sozialen Kompetenzen festzustellen sind. Auch im Gesamtschulkontext betrachtet sagen viele, dass der Griechenland-Austausch das Beste war, was sie auf der Schule erlebt haben.
Agorayouth: Herr Mildner, vielen Dank für das ausführliche Gespräch und viel Spaß in Florina!
Zu Zeitungsberichten geht es hier und da und auch dort.
Interview: Lisa Brüßler
Fotos: Schulsozialarbeit an der Wilhelm-Heinrich-von-Riehlschule
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