Nach dem offiziellen Ende des 2. Deutsch-Griechischen Jugendforums in Thessaloniki ging es für eine kleine Gruppe von Teilnehmern in das Opferdorf Hortiatis, das nur 20 Kilometer außerhalb der Metropole liegt. Das Anliegen: Das Deutsch-Griechische Jugendforum auch um den Aspekt der Erinnerungskultur bereichern.
Hortiatis ist eines der zahlreichen Opferdörfer in Griechenland, die während der Zeit der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 1944 schwer gelitten hatten. Wie in zahlreichen anderen Orten wurde auch hier durch deutsche Wehrmachts-Truppen in einer sogenannten „Vergeltungsaktion“ ein grauenvolles Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen. Zwar konnten wir an frühere freundschaftliche Kontakte anknüpfen, waren aber trotzdem etwas im Zweifel, wie wir in der aktuellen politischen Situation und in einer Zeit der Polarisierung zwischen Deutschland und Griechenland empfangen werden.
Nach etwa 45 Minuten Fahrt mit dem Linienbus an einem verregneten Freitag erwartet uns an der Bushaltestelle bereits Vaios, ein früherer Stadtrat und langjähriger Bekannter mit seinem Auto und bringt uns in den Ort. Dort lernen wir als erstes Georgios, den Ortsvorsteher, kennen, der uns alle zum Kaffeetrinken in die Cafeteria begleitet. Im Gespräch erfahren wir dann die Einzelheiten des schrecklichen Verbrechens durch die deutschen faschistischen Wehrmachtstruppen: Am 2. September 1944 ermordete das Jagdkommando Schubert, eine Wehrmachtseinheit, den Ortsvorsteher und den Ortspfarrer auf grausame Art und Weise. Die beiden Töchter des Pfarrers wurden brutal vergewaltigt. Die im Ort verbliebene, überwiegend weibliche Bevölkerung wurde mit den Kindern zusammengetrieben und in zwei Backstuben gebracht. Dort wurden die Eingesperrten angezündet und verbrannten bei lebendigem Leib. Nur einigen Kindern gelang die Flucht durch ein kleines Fenster ins Freie.
Austausch auf Augenhöhe
Nach dieser bewegenden Schilderung werden wir von unseren einheimischen Partnern durch den Ort geführt. Wir sehen die Gebäude der damaligen Backstuben und die niedergebrannten Wohnhäuser, die heute noch als Ruinen zu sehen sind, aber auch eine spätbyzantinische Klosterkirche und ein antikes römisches Aquädukt. Vor dem Mahnmal für die 154 Opfer der Nazi-Verbrechen legen wir eine Gedenkminute ein, nachdem uns Vaios und Georgios auf den Gedenktafeln die Namen ihrer eigenen ermordeten Familienangehörigen gezeigt hatten.
Obwohl wir wieder den Heimweg antreten wollen, werden wir von unseren Begleitern noch zu einem Glas Wein eingeladen. Wir willigen ein und dann steht ein riesiges Essen vor uns auf dem Tisch. Im Gespräch betonen beide Gastgeber, wie wichtig für Sie heute ein gutes Verhältnis zwischen Griechen und Deutschen ist, ebenso wie eine gute Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen beiden Völkern in einem friedlichen und geeinten Europa.
Beim gemeinsamen Essen und Trinken erfahren wir noch vieles über den Ort und seine Bevölkerung und müssen versprechen, unbedingt wieder zu kommen. Dies tun wir gern, im Gefühl der Verbundenheit, das wir bei dem Besuch erleben durften. Auf der Rückfahrt nach Thessaloniki mit dem Bus regnet es zwar immer noch, aber wir sind voller Dankbarkeit und Freude über die Eindrücke, die Begegnungen und die überwältigende Gastfreundschaft, die wir bei dem Besuch in Hortiatis erleben durften, ganz besonders aber mit Vaios und Georgios.
Persönliche Eindrücke der Teilnehmenden:
„Im Zuge meiner Recherchen zu Erinnerungsorten der NS-Besatzungszeit in Griechenland war ich sehr daran interessiert einen Ausflug nach Hortiatis zu machen. Dank des Kontaktes von Brigitte Spuller zu dem ehemaligen Stadtrat bot es sich an, gemeinsam in das Bergdorf zu fahren. Die persönliche Art und Weise, wie wir dort begrüßt wurden, und die bedingungslose Gastfreundschaft, die uns entgegengebracht wurde, haben mich sehr beeindruckt. Ein solcher gegenseitiger, vertrauter Umgang miteinander ist das beste Mittel gegen Verstimmungen in deutsch-griechischen Beziehungen und für eine Verständigung untereinander.“ (Friedrich Kersting)
„Für mich war der Tag in Hortiatis ein sehr beeindruckender Ausflug, der immer noch in meinen Gedanken nachwirkt und ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit geboten bekam, teilzunehmen. Mein Herz schlägt spätestens seit meinem Freiwilligen Sozialen Jahr mit dem Programm ElanDe in Athen sehr stark und schnell für Griechenland. Die neuzeitliche Geschichte dieses außergewöhnlichen Landes mit einer so herzensoffenen Gastfreundlichkeit gezeigt zu bekommen, hat mir verdeutlicht, wie leicht man das Erinnern an schreckliche Taten mit dem Blick in eine gemeinsame europäische Zukunft verbinden kann.“ (Clarissa Haas)
„Für mich war es das erste Mal, dass ich ein Opferdorf besucht habe. Ich fand die Gespräche sehr eindrucksvoll, sie haben mich zusätzlich motiviert, mich für den Deutsch-Griechischen Jugendaustausch zu engagieren. Deutlich wurde auch, wozu Menschen fähig sind und dass unsere demokratischen Strukturen gerade auch in diesen Zeiten keine Selbstläufer sind. Auch auf das Engagement jedes Einzelnen kommt es an und es ist wichtig, sich zu vernetzen. Ich würde es begrüßen, wenn die Erinnerungskultur auch Teil einer Deutsch- Griechischen Jugendbegegnung sein könnte“. (Martin Hermann)
„Gerade in den gegenwärtigen schwierigen politischen Zeiten war es eine große Freude zu sehen, wie herzlich unsere kleine Gruppe in Hortiatis von Vaios und Georgios aufgenommen wurde und dass es möglich war, an eine jahrzehntelange Freundschaft wieder anzuknüpfen. Berührt hat mich die Schilderung der Verbrechen der deutschen Besatzungstruppen und der leidvollen Erfahrungen der Bevölkerung. Beeindruckt war ich vom Interesse unserer drei deutschen Mitreisenden und dem Fachwissen von Friedrich. Ich denke sehr gern an diese Begegnung in Hortiatis zurück. Sie bedeutet für mich: Völkerverständigung im Kleinen … und davon sollte es noch viel mehr geben.“ (Brigitte Spuller)
Text und Fotos: Brigitte Spuller
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