Der Weg zu einem nachhaltigen Friedensbewusstsein in der deutsch-griechischen Zivilgesellschaft ist ein andauernder Prozess, der stark geprägt ist von den Erlebnissen und Erfahrungen der Vergangenheit. Kultureller Austausch und direkte Begegnung können Lernprozesse initiieren. Das Forum ‚Erinnerung & Bildung‘ bot den Teilnehmern den Rahmen für einen intensiven Rückblick auf die Ereignisse und den Ausdruck von Wünschen hinsichtlich eines friedvollen Miteinanders in Europa.
Kultureller Austausch und direkte Begegnung
Vom 19. bis 23. Mai 2016 fand im westmakedonischen Lechovo das ‚Forum Erinnerung & Bildung‘ statt. Veranstalter der fünftägigen Veranstaltung war der Kulturverein „Profitis Ilias“ der griechischen Opfergemeinde Lechovo mit Unterstützung der Gemeinde von Amyntaio. Weitere Unterstützung erhielt das Forum von dem Bürgermeister von Kalavryta und Vorsitzenden des Netzwerkes der Märtyrerstädte und -dörfer Griechenlands, Georgios Lazouras, und den griechische Märtyrerdörfern Souli und Lingiades. Die Veranstaltung wurde aus Mitteln des Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds finanziert.
Zentrales Thema des Forums war die Ermutigung der griechischen Zivilgesellschaft zur Vernetzung der Opfergemeinden in Griechenland untereinander als auch mit Interessengruppen aus Deutschland und Griechenland; Erinnerungsarbeit wurde als Grundlage einer Kultur des Friedens und der Mitgestaltung eines offenen Austauschs verstanden. Das hohe Interesse von mehr als 350 Besuchern zeigte, dass hier ein nachhaltiger Wissens- und Erfahrungsaustausch mehr als erreicht wurde. Zu den geladenen Gästen aus Griechenland zählten mitunter Vertreter der Zivilgesellschaft, Lehrer, Vereins- und Gemeindevertreter, aber auch Professoren und Experten aus zehn Märtyrergemeinden. Aus Deutschland nahmen mehr als 20 Gäste teil, darunter Dr. Thomas Lutz (Referatsleiter des Gedenkstättenreferats der Topografie des Terrors), der Völkerrechtler Prof. Dr. Norman Paech, Dr. Vassilia Triarchi-Herrmann aus dem ISB Bayern, Prof. Martin Leiner von der Schiller Universität sowie zahlreiche deutsche Vereinsvertreterinnen und interessierte Bürgerinnen und Bürger wie Brigitte Spuller, welche die deutsch-griechische Freundschaft seit Jahren tatkräftig unterstützen. Die gesamte Veranstaltung wurde live im Internet gezeigt und somit auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der fachliche Inhalt des Forums wurde durch ein gemeinsames kulturell-geschichtliches Rahmenprogramm unterstützt. Nach Darstellung der Historie von Lechovo, Drossopigi und Pyrgoi erfolgten Exkursionen zu den Märtyrerdörfern Kleissoura und Pyrgoi, ein Besuch der Kirchen und historischen Plätze und die gemeinsame Kranzniederlegung vor den Gedenkstätten für die Opfer. In Lechovo erhielten die Besucher die Möglichkeit zum Besuch der Kirche und der Messe, der Führung im Volkskundemuseum und der Bibliothek Lechovos. Der intensive Austausch und der direkte Kontakt mit den Repräsentanten der Ortsgemeinschaften verdeutlichten den Teilnehmenden vor dem Kontext der deutschgriechischen Vergangenheit auch die kulturellen und geschichtliche Einflüsse der Abwanderung aus den Ortschaften ins europäische und internationale Ausland. Der Metropolit von Kastoria Serafim (Orthodoxer Bischof der Region) sprach in der Messe seine Unterstützung und seinen Segen für das Forum aus, eine Praxis, die für die Bevölkerung im Dorf (und in der griechischen Provinz) von sehr hoher Bedeutung ist. Für folklorische und musikalische Pausen sorgte der Frauengesangsverein Lechovo.
Das Eingangs- und Impulsreferat des Forums hielt Dr. Thomas Lutz zu der Rolle von Gedenkstätten und Denkmälern für Bildung und Tourismus. Es folgten Grußworte des Vereinsvorsitzenden Evangelos Stefanidis, Georgios Lazouras, Dr. Ingo von Voss (Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Thessaloniki), Stavroula Braimi-Botsi (Bürgermeisterin von Souli) sowie weiterer Vertreter griechischer Märtyrergemeinden, darunter Ioannis Avgeris (Lyngiades) und Christos Gakis (Kleissoura).
Eine positive und ermutigende Botschaft stellte die Rede von Georgios Lazouras (Bürgermeister von Kalavryta) dar, welcher die Notwendigkeit, Gedenken und Erinnerung aufrecht zu erhalten und die diesbezügliche Rolle der griechischen Märtyrergemeinden in diesem so wichtigen Prozess betonte. Einerseits, um der Geschichte und den Opfern gerecht zu werden, andererseits um eine Warnung für die jüngeren Generationen vor den Folgen einer erneuten Entstehung von Faschismus auszusprechen. Er machte deutlich, dass das Netzwerk der Märtyrerstädte und -dörfer Griechenlands die Forderungen auf Reparationszahlungen und Rückzahlung des Zwangskredits weiterhin verfolge und jegliche Versuche des griechischen Staats in diese Richtung unterstützen werde. Aber er betonte auch, dass diese Wunde in den zwischenstaatlichen Beziehungen keinesfalls ein Hindernis zur Zusammenarbeit darstellen dürfe, besonders nicht für die Jugendlichen und die Zivilgesellschaft in Deutschland und Griechenland. Georgios Lazouras gab damit eine klare Linie vor, welche die Zusammenarbeit und den Dialog aktiv fördert, jedoch die Forderung nach Reparationen nicht ausschließt. Das Thema wurde am zweiten Veranstaltungstag vertieft von Prof. Dr. Norman Paech, der die Herausforderungen an die deutsch-griechischen Beziehungen darstellte und mit Hilfe der Moderatorin Carolina Rehrmann mit den Forumsteilnehmern juristische und politische Fakten diskutierte.
Vier zweisprachige Workshops stellten verschiedene Formen und Mittel der Erinnerungsarbeit vor und luden zum Austausch hinsichtlich der Themen Vernetzung, Bildung, Tourismus und Kunst ein. Die Referenten wie Dr. Eleni Chodolidou, Prof. Pädagogik, präsentierten in den Workshops neben praktischen Methoden der Bildungs- und Friedensarbeit auch ihre Erfahrungen mit eigenen Projekten. Jeder Workshop wurde mit einer intensiven Diskussion beendet. Aus den Workshops entstanden neue Ideen, die in anschließenden Thementischen und Arbeitsgruppen zu Jugend, Bildung, Tourismus und Kultur noch konkretisiert werden konnten. Viele kommunikative Ansätze konnten in Gesprächen während der Pausen und an den Abenden fortgesetzt werden. Ein besonderes Highlight war die öffentliche Abendvorführung des Dokumentarfilms der Regisseurin Lydia Konsta ‚Light Thickens‘ über Werke griechischer Künstler in Märtyrerdörfern mit anschließender Diskussion und Erfahrungsaustausch über den Einsatz von Kunst als Medium.
Eine wissenschaftliche thematische Annäherung und die Terminologie Genozid und Kriegsverbrechen erzielte der Beitrag von Dr. Georgios Kokkinos. Dr. Zeta Papandreou führte abschließend detailliert den Fall von Distomo aus und erklärte die Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen des Massakers mit pädagogischen und künstlerischen Mitteln.
Die Beiträge zu Jugendaustausch und Jugendarbeit am zweiten und dritten Veranstaltungstag erlaubten einen Einblick in die momentan existierenden Strukturen, die einen aktiven Jugendaustausch zwischen Deutschland und Griechenland fördern können und elaborierte den Jugendaustausch auf insgesamt europäischem Niveau. Mehrere Opfergemeinden erklärten verstärkt ihr Interesse an Jugendaustauschprogrammen mit deutschen und weiteren europäischen Partnern. Dr. Vassilia Triarchi (ISB), Natali Petala-Weber (IJAB), Panos Poulos (Filoxenia) und Rolf Stöckel (Beauftragter für die Anbahnung des deutschgriechischen Jugendwerkes) sprachen interessierten zivilgesellschaftlichen Akteuren ihre Unterstützung zu.
In dem Panel ‚Best Practices‘ wurden laufende deutschgriechische Jugendfriedensprojekte der Gemeinden Delmenhorst und Ptolemaida durch Kerstin Albes-Bielenberg und Helmut Riewe des Vereins Dialogos e.V. vorgestellt. Die Darstellung der Jugendaustauschprojekte der Jugendlichen Lechovos mit Berlin und Hamburg übernahmen Niki Stefanidou und Gianna Tsimou, welche aufbauend auf den positiven Erfahrungen eine Ausrichtung auf praxisorientierte und nachhaltige Partnerschaften anregten. Die Erlebnisse mit dem deutschgriechischen Austausch wurden dem Publikum mit Videos vorgeführt.
Der letzte Veranstaltungstag wurde eröffnet mit dem Thema Erinnerung und Erinnerungskultur. Dr. Leon Nar und Dr. Kavala Maria stellten dies anschaulich am Beispiel der jüdischen Gemeinde von Thessaloniki dar. Die Präsentation und Diskussion mit Prof. Martin Leiner (JCRS) zu Erinnerung und Versöhnung schlossen das Programm ab.
Erinnerungsarbeit – Interkulturell und prozessorientiert
Die deutsche Besatzung verlangte Griechenland Opfer ab, deren Umfang im heutigen Deutschland ebenso wenig bekannt ist wie das brutale Vorgehen der Besatzer. Wer die Opferdörfer heute besucht, erkennt schnell, dass die deutsche Besatzung nicht nur unfassbares menschliches Leid über die Menschen brachte, sondern dass auch die Grundlage vieler Dörfer bis heute betroffen ist.
Gleiches gilt für die griechischen jüdischen Gemeinden. Eine stärkere Hinwendung zu Erinnerung mit Mitteln der Bildung, der Kunst, des Tourismus und des multikulturellen Austauschs kann dazu beitragen, diese Lücke in beiden Ländern zu verringern. Die hohe Resonanz verschiedener Akteure auf diese Thematik, die sowohl die deutsche als auch die griechische Zivilbevölkerung als ein Kernthema der deutsch-griechischen Beziehung betrachtet, hat bei dem Forum ein sehr gemischtes Publikum entstehen lassen. Inhaltlich haben sich die Teilnehmer nicht nur zu grundsätzlichen Fragestellungen der Erinnerung und Bildung auseinandergesetzt, es bot sich eine ideale Plattform, Gemeinsamkeiten zu erkennen, Horizonte zu erweitern und voneinander zu lernen, Barrieren abzubauen. Der Erfolg des Forums basiert auf dem Einsatz vieler freiwilliger Helfer des Kulturvereins Lechovo und der aktiven Unterstützung durch kulturmittlerische Experten.
Die Forumsteilnehmer erarbeiteten gemeinsam soziale Herausforderungen heraus, die unter anderem ihr Arbeiten beeinflussen sowie gesamtgesellschaftliche Probleme, mit denen sie täglich konfrontiert werden. Durch einen gemeinsamen Prozess ist den Teilnehmenden schnell klar geworden, dass sowohl der innergriechische als auch der deutsch-griechische Austausch und entsprechende Netzwerke sehr wichtig sind, um Aufgaben und Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Die Teilnehmer waren sich einig, ihre Ergebnisse und Impulse weiterzuentwickeln. Hierbei war die zentrale Frage, wie man einen weiteren Austausch nachhaltig und effektiv fördern kann. Es wurde angeregt, dass deutsch-griechische Vernetzungstreffen zu grundsätzlichen Fragestellungen der Erinnerungsarbeit wiederholt werden und auch in Deutschland stattfinden sollten. Das interkulturelle und zivilgesellschaftliche Netzwerk müsse weiter gestärkt und effektiv ausgebaut werden.
Weitere Informationen:
Die einzelnen Programmpunkte und Informationen zu den Referentinnen und Referenten entnehmen Sie bitte dem Programm: Forum Erinnerung & Bildung, Finales Programm
Die Grußworte aller Rednerinnen und Redner können Sie im Video sehen . Hier finden Sie den Link.
Weitere Videos und Mitschnitte des Forums finden Sie auf Youtube und unter diesem Youtube-Link.
Kontakt
Organisatoren: Kulturverein der Lechoviten „Profitis Ilias“ – Mail-Kontakt
Projektmanagement: Charalampos – Babis Karpouchtsis – Mail-Kontakt, polisis.eu
Bericht: Charalampos – Babis Karpouchtsis und Anja Hack für den Kulturverein der Lechoviten „Profitis Ilias“;
Fotos: Christos Emporidis, Photo Pallas Veria
Gibt es den Artikel auch auf Griechisch?
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Lieber Herr Rompf. Leider erst einmal nicht. Herzliche Grüße, Caspar Schlenk
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