Wer vor 2014 schon mal von der Insel Lesvos gehört hatte, war wohl ein Insel- oder Griechenlandliebhaber. Verändert hat diesen Umstand alles, als die Insel 2015 weltweit fast täglich in den Schlagzeilen genannt wurde: Auf dem Weg nach Europa betraten viele der Geflüchteten dort zum ersten Mal europäischen Boden. Ende Juni macht sich nun ein Fachkräfteaustausch vom Interkulturellen Netzwerk in Neuruppin auf, einen Blick hinter die im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise entstandenen Strukturen zu werfen.
Die Fakten sind schnell genannt: Lesvos liegt in nur wenige Kilometern entfernt von der Küste der Türkei. Noch heute kommen trotz des sogenannten Türkei-Abkommens täglich Schlauchboote mit Geflüchteten aus Syrien und anderen Ländern an und erreichen – sollte die Überfahrt gelingen – dort europäischen Boden. Auf der Insel werden die Neuankömmlinge in zwei sogenannte „Hotspots“ aufgeteilt. Ein Bereich kümmert sich um Familien; der Andere um alleinreisende männliche Geflüchtete – so die Theorie.
Der griechische Staat ist mit dieser Situation hoffnungslos überfordert; es fehlt an allem: menschenwürdige Unterbringung, Verpflegung, medizinische Versorgung, rechtlicher und seelischer Beistand. In diese Lücke sind unzählige NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure gestoßen, die teils über EU-finanzierte finanzielle Hilfen, teils über private Spenden, versuchten, die Situation vor Ort erträglicher zu gestalten – egal ob beim Anlanden der Boote, beim Verteilen von Kleidung oder über medizinische Ersthilfe.
Mithelfen bei One Happy Family
„Wir kennen die Organisation One Happy Family (OHF) über eine Kollegin und Freundin, die dort im letzten Herbst für einen Monat ehrenamtlich gearbeitet hat“, erzählt Sebastian Maass vom Interkulturellen Netzwerk in Neuruppin, der den Fachkräfteaustausch von deutscher Seite mitbetreut. „Das besondere an der NGO ist, dass sie die Transfers von Geflüchteten für Geflüchtete organisieren. Menschen aus den Lagern werden nach ihren Bedürfnissen gefragt und dann wird geschaut, ob diese Bedürfnisse aus den Kompetenzen anderer Geflüchtete gedeckt werden können.“ Es kommen aber auch so mehrere hundert Menschen jeden Tag zu der NGO obwohl sie dafür stundenlang laufen müssen, so Maass. Erst im März waren er und das Team auf Lesvos, um sich die Arbeit und Funktionsweise der Partner vor Ort anzusehen.
Vom 23.-30. Juni geht es also nach Lesvos zu One Happy Family. Die Organisation arbeitet als Struktur zwischen den beiden Hotspots und hat so eine Bücherei, ein urban-gardening-Projekt, einen Kinderspielplatz und ein Kino eingerichtet. Außerdem verteilen sie Nahrung und kümmern sich um Frauen, die oftmals vor schwierigen Situationen in den Hotspots stehen.
Ziel des Fachkräfteaustausches ist es, Menschen aus Deutschland, Frankreich und Griechenland, die im Bereich der Flüchtlingsarbeit aktiv sind oder sich ehrenamtlich engagieren, eine Vor-Ort-Erfahrung zu ermöglichen. Die Ankommenssiatuation auf Lesvos soll erlebt werden und die Erfahrungen, Erwartungen und Bedürfnisse der geflüchteten Menschen kennengelernt werden. Mit dazu gehört aber auch, dass eigene Kompetenzen in Workshops eingebracht werden, also etwa die Mithilfe beim Kochen und der Essensausgabe, beim Gärtnern, im Frauenhaus oder bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen.
Aber auch eigene Kenntnisse können je nach den Bedürfnissen der Besucher eingebracht werden. „Vielleicht gibt es Menschen die Lust haben einen Zirkusworkshop zu veranstalten, eventuell kennt sich jemand mit Medienarbeit aus oder hilft dabei einen Blog oder ein Spendensammelauftritt aufzubauen oder hat Lust einen Sprachkurs anzubieten. Gemeinsam mit OHV werden wir mögliche Angebote besprechen“, erzählt Maass.
Über den Tellerrand schauen
Mit dazu gehört auch der Austausch mit anderen NGOs vor Ort, wie etwa mit „Ärzte ohne Grenzen“, dem UNHCR und „Refugees for Refugees“ bei der die eigene pädagogische Praxis, Konzepte und Methoden verglichen werden können und überlegt wird, was sinnvoll ausgetauscht werden kann.
Der Fachkräfteaustausch wird in Zusammenarbeit mit Asso Gwennili aus Frankreich, Arpeggio aus Thessaloniki in Griechenland und OHF auf Lesvos organisiert und vom Deutsch-Französischen Jugendwerk und dem Sonderprogramm Deutsch-Griechischer Jugendaustausch unterstützt.
Fotos: Sebastian Maass
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