Teil 3: Wie reagieren NGOs auf die Corona-Pandemie?

Was tun, wie planen? Das fragen sich momentan viele Jugendorganisationen in Deutschland und Griechenland. In unserer Umfrage erzählen sie von ihren Sorgen, aber auch neuen Wegen und Methoden, die die Pandemie zu Tage befördert hat. Heute mit: der Organisation Euphoria aus Athen, dem Interkulturellen Netzwerk e.V. aus dem brandenburgischen Neuruppin und mit IBG Workcamps, die 2020 eigentlich „100 Jahre Workcamps-Jubiläum feiern wollten.

Kelly ManoudiAgorayouth: Kelly, du bist Geschäftsführerin der Organisation Euphoria in Athen. An welche Zielgruppe richtet ihr euch in eurer Arbeit?
Kelly Manoudi
: Wir richten uns an junge Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, die aus ländlichen Gegenden in Griechenland kommen. Unsere Jugendarbeiter nutzen Methoden aus dem non-formalen Bereich, um den Jugendlichen zu helfen, sich weiter zu entwickeln. Das passiert meist über europäische und internationale Projekte, bei denen sie auf junge Menschen aus anderen Ländern treffen und ein Bewusstsein für gesellschaftsrelevante Themen wie etwa die Gleichberechtigung der Geschlechter, Umweltschutz, Menschenrechtsverletzungen, Inklusion, oder Diversität entwickeln. Ziel ist es, junge Menschen zu motivieren, aktive Bürger zu werden, die Initiativen anstoßen, um ihr eigenes Leben oder das Leben anderer zu verbessern.Agorayouth: Arbeitet ihr dabei auch mit Partnern in Deutschland zusammen?
Ja, wir sind seit 2018 aktiv in deutsch-griechische Projekte involviert. Oft betrifft das das Feld der Erinnerungs- und Gedenkarbeit und der Aussöhnung. Wir stellen insbesondere über langfristige Kooperationen etwa mit der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW), dem Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB e.V.), der Kreisau Initiative e.V und dem Gesamteuropäischen Studienwerk (GESW) die Qualität der Lernerfolge sicher. Unsere Jugendaustausche beinhalten neben Aktivitäten, Diskussionen und Museumsbesuchen auch immer wieder Besuche in Konzentrationslagern, Märtyrerorten und an Orten des kollektiven Erinnerns.

Agorayouth: Inwiefern hat sich eure Arbeit verändert dadurch, dass das derzeit alles ausfällt?
Unsere Arbeit hat sich um 180 Grad geändert! Alle Projekte zwischen März und Mai wurden verschoben. Den letzten Jugendaustausch in Deutschland haben wir nur zwei Tage bevor er beginnen sollte abgesagt, weil wir kein Risiko eingehen wollten. Auch unsere Teilnahme am European Youth Event Ende Mai ist gecancelt weil die französische Regierung die Veranstaltung abgesagt hat. Unsere Arbeit stoppt natürlich nicht vollkommen, wir versuchen, wie alle, mehr digitale Tools zu nutzen in der Arbeit mit unseren Partnern und auch mit den Jugendlichen. Das dauert natürlich länger gerade. Eine Gruppe von Jugendlichen, die im Projekt „Generation Europe“ in lokalen Aktivitäten zusammenarbeitet trifft sich jetzt online. Über die sozialen Medien versuchen sie, das Bewusstsein für den Klimawandel zu steigern.

Agorayouth: Und wie geht ihr die kommenden Monate an? Was bereitet euch Schwierigkeiten?
Die finanziellen Aspekte! Ohne durchgeführte Projekte gibt es keine Mittel. Unser Büro ist geschlossen wegen der Restriktionen für Bildungszentren und wir arbeiten alle von zuhause aus. Das einzige Projekt, das wir gerade weiterführen, ist das „Generation Europe“-Projekt. Da arbeiten wir an einem Online-Dokument für Guidelines zur Jugendpolitik und einer digitalen Methodenbox. Finanziell unterstützt bei den Aktivitäten im Projekt werden wir von der Stiftung Mercator. Wir versuchen gerade unsere Zielgruppe so gut wie möglich zu unterstützen und teilen über unsere Social-Media-Accounts regelmäßig Links zu Webinaren, Tipps und Artikeln dazu, wie sie die Tage zuhause besser verbringen können. Wir hoffen natürlich, dass diese Situation so bald wie möglich vorbei ist.


Agorayouth: Sebastian, das Interkulturelle Netzwerk im brandenburgischen Neuruppin gibt es bereits seit 25 Jahren. In welchem Bereich arbeitet ihr verstärkt? Seba MaassSebastian Maass: Wir bieten in jedem Jahr ungefähr 30 interkulturelle Jugendbegegnungen, Fachkräfteprogramme und Ausbildungen an. Zum einen arbeiten wir mit lokalen Partnern wie beispielsweise Schulen und bieten für diese außerschulische interkulturelle Lernerfahrungen, wie zum Beispiel Tanz- oder Theaterprojekte an. Über unsere Webseite können sich zudem junge Menschen für offen ausgeschriebene Begegnungen wie Workcamps, thematische Seminare oder erlebnisorientierte Begegnungen anmelden. Im Angebot sind meist Themen rund um Geschichte, nachhaltige Entwicklung, Umgang mit Flucht oder Gender. Als dritte Säule bieten wir Grundausbildungen für Menschen, die sich in der pädagogischen Begleitung von Begegnungen als Teamerin oder Teamer oder zum Thema Sprachanimation qualifizieren möchten.

Agorayouth: Und wie steht es um Kontakte zu Partnern nach Griechenland?
Wir arbeiten seit etwa zehn Jahren mit Griechenland zusammen. Angefangen hat die Partnerschaft mit der Struktur ZATHAY und dem Amt der wunderschönen Insel Samothraki. Mit diesen Strukturen haben wir zunächst Multiplikator*innenfortbildungen durchgeführt – etwa ein Projekt in dem wir über zwei Jahre geforscht haben, wie wir Menschen dazu bringen, in ländlichen Gebieten Perspektiven zu entwickeln. Zur Zeit planen wir Workcamps und eine Begegnung. Auch kooperieren wir sehr eng mit ARPEGGIO aus Thessaloniki, mit dem wir vor allem Fachkräfteprogramme durchführen. Im letzten Jahr haben wir ein Programm auf der Insel Lesbos zum Thema Flucht veranstaltet, im Herbst diesen Jahres ist ein Folgeprojekt in Hamburg geplant. Und auch im Bereich Sprachanimation sind wir gemeinsam tätig.

Wie hat sich eure Arbeit in den letzten Wochen verändert?
Corona hat uns stark getroffen. Am 15. März wollte ich zu einem Vorbereitungstreffen nach Thessaloniki fliegen. Direkt danach hatten wir eine trilaterale Schulung in der Stadt geplant. Zwei Tage vor der Reise haben wir uns nach langem Zögern entschlossen die Maßnahmen abzusagen. Die Nachrichten überschlugen sich, wir wollten kein Risiko für die Teilnehmenden eingehen. Heute wissen wir, dass wir richtig gehandelt haben. Aber seit diesem Moment stehen die Seminaraktivitäten still und ein Ende ist nicht abzusehen.

Wie geht ihr damit um?
Wir haben alle Projekte bis Ende Mai storniert und hoffen noch, dass sich die Situation beruhigt. Aber es existieren schon Notfallpläne falls wir auch die Aktivitäten im Juni – und was noch schlimmer wäre – in den gesamten Sommerferien – absagen müssen. Es kann sein, dass sich zwar die medizinische Situation verbessert, wir haben aber Sorge, dass Eltern ihre Kinder nicht einfach innerhalb Europas oder in andere Partnerländer reisen lassen. Das bedeutet konkret, dass wir dreifach Arbeit haben: Projekte planen, Projekte absagen und Projekte neu terminieren.

Zuerst dachte ich, wir hätten nun weniger zu tun – aber die Arbeit multipliziert sich. Und es gibt ein weiteres Problem: Leider scheint mit der Pandemie auch die Idee eines gemeinsamen Europas zu erkranken – wir können das an den geschlossenen Grenzen und dem Versagen der nationalen und europäischen Ebenen in Bezug auf eine gemeinsame Asylpolitik und der unmenschlichen Situation in den Flüchtlingslagern in Griechenland sehen. Es wäre ein wichtiger Akt, wenn Europa sich in dieser Frage menschlich und solidarisch zeigt. Warum organisieren wir so wenig europäischen Hilfen, um den überforderten Staaten im Bereich der Gesundheit und der finanziellen Überwindung der Krise zu helfen? Ich bin über diese Entwicklung sehr bestürzt. Es zeigt sich, dass Jugendaustausch auf europäischer Ebene immer wichtiger wird.

Was sind für euch als Verein die größten Probleme?
Unser Verein existiert seit 25 Jahren. Diese Pandemie bedroht die Existenz der Struktur, da wir nur wenig Regelförderung erhalten. Dies bedeutet, dass wir unseren Verein mithilfe von Verwaltungskosten in den jeweiligen Begegnungen finanzieren. Damit meine ich nicht nur Löhne, sondern auch die Kosten für Miete, Buchführung, Werbung, Internet, Telefon etc. Wir sind sehr dankbar, dass sich die Förderinstitutionen bereit erklärt haben, direkte Ausgaben in Bezug auf die Seminare wie Kosten für Flüge und Unterkünfte, die nicht kostenfrei zu stornieren sind, im Rahmen von „höherer Gewalt“ zu subventionieren. Dies ist eine große Hilfe für alle Seminaranbieter. Noch schlimmer ergeht es den vielen freiberuflichen Trainer*innen und Übersetzer*innen, die auf die Zahlung der Honorare angewiesen sind. Nach vielen Telefonaten weiß ich, dass es kaum Reserven gibt, um Zahlungen etwa für die Krankenversicherung zu leisten. Viele Vereine versuchen gerade Strategien zu entwickeln um diesem Personenkreis in der Krise unter die Arme zu greifen.


janina hansmeierJanina, IBG Workcamps ist seit über 50 Jahren im Bereich der internationalen Freiwilligenarbeit tätig. Erzähl uns doch ein bisschen mehr zum Verein.
Janina Hansmeier: Gern! IBG Workcamps wurde mit dem Ziel gegründet, durch internationale Freiwilligenarbeit in Workcamps einen Beitrag zu Frieden und Völkerverständigung zu leisten. Wir bringen also junge Freiwillige aus der ganzen Welt zusammen, die gemeinsam für zwei bis drei Wochen an einem gemeinnützigen Projekt arbeiten. Bei den Camps, die wir jedes Jahr in Deutschland organisieren, sind das hauptsächlich Projekte im Bereich Umweltschutz, Renovierung und Konstruktion. Internationale Freiwillige bauen dort unter Anleitung von lokalen Projektpartnern zum Beispiel Spielplätze in kleinen Gemeinden wieder auf, helfen bei der Wiedervernässung von Mooren oder unterstützen die Renaturierung im Wald. Wir setzen uns mit den Schwerpunkten Nachhaltigkeit und Inklusion für internationale Freundschaft und Solidarität ein und für einen nachhaltig positiven Einfluss der Workcamps auf die jeweiligen Projektorte. Neben den fünf Hauptamtlichen gibt es bei uns einen ehrenamtlichen Vorstand, Mitglieder und viele unverzichtbare engagierte Freiwillige.

Und wie sieht es außerhalb von Deutschland aus?
Unser Verein ist Mitglied in internationalen Netzwerken, über die wir mit Workcamp-Organisationen in der ganzen Welt kooperieren. In Griechenland arbeiten wir eng zusammen mit den NGOs ELIX und Citizens in Action zusammen. Wir vermitteln deutsche Freiwillige in Workcamps in Griechenland und heißen umgekehrt griechische Freiwillige in unseren internationalen Camps willkommen. Außerdem haben wir mit Citizens in Action zusammen in den vergangenen Jahren über das Sonderprogramm spezielle deutsch-griechische Workcamps in beiden Ländern organisiert: Im griechischen Pilion haben junge Freiwillige zum Beispiel ein kleines Dorf dabei unterstützt, alte Brunnen wieder in Stand zu setzen und so die Geschichte des Ortes wieder zu beleben.

Viele Projekte sind für die kommenden Monate bereits abgesagt. Wie haben sich eure Arbeitsprozesse in den vergangenen Wochen verändert?
Die fünf Mitarbeitenden, unser Praktikant und unsere europäische Freiwillige arbeiten seit Mitte März fast ausschließlich im Home office. Das ist natürlich eine Umstellung, aber da wir in der internen und externen Kommunikation bereits seit Längerem viel mit digitalen Tools und Messenger-Plattformen arbeiten, klappt das bisher ganz gut. Die internationalen Workcamps, sind zurzeit natürlich überhaupt nicht durchführbar. Genauso die Seminare, in denen wir jedes Jahr Gruppenleitungen für die Camps ausbilden, und jede andere Form von internationalem Austausch, der auf Reisen basiert. Von den insgesamt 45 für dieses Jahr in Deutschland geplanten Camps haben wir zum Beispiel bereits mehr als zehn abgesagt. Bei unseren Partnerorganisationen weltweit sieht es ähnlich aus. Einige haben bereits ihr komplettes Jahresprogramm streichen müssen. Für uns fällt wegen der Absagen also gerade auch viel Kommunikation und Koordination an.

Auch euch macht die – coronabedingt – angespannte finanzielle Situation des Vereins Sorgen. Wie plant ihr die kommenden Monate?
Die Pandemie stellt auch uns als Verein vor existentielle Schwierigkeiten. Wir finanzieren den Großteil unserer Arbeit über drei Säulen; einerseits über Fördermittel des BMFSFJ für internationale Begegnungen, andererseits über die Vermittlungsgebühren deutscher Freiwilliger, die an Workcamps im Ausland teilnehmen und zum Dritten über die Kooperationsbeiträge unserer Workcamp-Projektpartner*innen in Deutschland. Ein Großteil dieser Finanzierung könnte also über längere Zeit wegfallen. Das hieße kurz gesagt, dass wir unsere Vereinsarbeit im Büro, bei Seminaren und Veranstaltungen nicht weiter finanzieren könnten.

Wir sehen aber auch, dass es gerade jetzt wichtig ist, uns für Solidarität und internationale Freundschaft einzusetzen. Wir versuchen deswegen, ganz neue Formate zu entwickeln und unseren Freiwilligen internationales Engagement auf anderem Wege zu ermöglichen. Wir versuchen optimistisch zu bleiben und hoffen aktuell noch, dass wir einige Camps im Sommer und Herbst trotz der Pandemie in kleinerer Form oder mit entsprechenden Anpassungen durchführen können.

Welche neuen Wege versucht ihr gerade auszuloten?
Wir möchten Freiwilligen natürlich weiterhin internationales Engagement ermöglichen. Gleichzeitig können wir momentan nicht vorhersehen, ab welchem Zeitpunkt es wieder möglich sein wird, sicher zu reisen. Wir machen es so: Freiwillige können sich weiterhin für Workcamps im Sommer und Herbst anmelden. Sollte die Teilnahme letztendlich aber nicht möglich sein – sei es, weil das Camp abgesagt wird oder die Freiwilligen selbst absagen müssen – erstatten wir die Vermittlungsgebühren komplett zurück.

In den vergangenen Wochen haben wir gemeinsam mit unseren internationalen Partnern an Möglichkeiten gearbeitet, trotz der Pandemie internationales Engagement zu ermöglichen. Entstanden ist dabei ein virtuelles Workcamp, zu dem sich alle Interessierten anmelden können. Dort treffen sich internationale Freiwillige online und können beispielsweise in einem Home-Gardening-Projekt lernen, bei sich daheim einen kleinen Garten anzulegen. Auch können sie gemeinsam in verschiedenen Sprachen kurze Lern-Videos für ein Familienzentrum in der Slowakei erstellen oder in einem „Virtual Speaking Clubs“ zusammen Englisch, Deutsch, Griechisch, Portugiesisch oder Russisch üben. Bei den jeweiligen Projekten können alle Freiwilligen dann andere junge Menschen aus der ganzen Welt kennen lernen – genau wie in einem ‚echten‘ Workcamp also.

Umfrage: Lisa Brüßler
Fotos: agorayouth & IBG Workcamps

Hier geht es zu Teil 1 der Reihe und hier entlang können Sie Teil 2lesen.
Διαβάστε το άρθρο στα ελληνικά εδώ.

 

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