In der Corona-Pandemie ist bislang vor allem eines überdeutlich geworden: Das Zurückziehen in das Nationale. Bis auf Berichte aus den am stärksten betroffenen Ländern wird wenig über Details in den europäischen Ländern berichtet. Wie unterschiedlich die Regelungen in Deutschland sind, und welche Debatten dort aktuell geführt werden, erklären wir in Folge Zwei unserer Serie.
Die ersten mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 Infizierten in Deutschland gab es bereits Ende Januar 2020. Eine Frau aus China brachte das Virus von einer Geschäftsreise mit in den bayrischen Landkreis Starnberg. Sie hatte sich wohl wiederum bei ihren Eltern angesteckt, die aus der chinesischen Metropole Wuhan kommen, fühlte sich aber erst auf dem Rückflug nach China richtig krank. Da hatten sich bereits Menschen im Hauptsitz des Autozulieferers Webasto bei ihr angesteckt. In dieser Phase der Ausbreitung des Virus gelang, was danach nicht mehr gelingen sollte: Die Angestellten der Firma gingen ins Home Office, in Quarantäne oder wurden in Krankenhäuser eingeliefert, Kontaktketten wurden nachverfolgt und die Ausbreitung des Virus in dem Landkreis konnte gestoppt werden. Zu diesem Zeitpunkt gingen viele Experten davon aus, dass es unwahrscheinlich sei, dass sich das Virus in ganz Deutschland ausbreiten würde.
Nur wenige Wochen später wurden Deutschland und Europa eines besseren belehrt als viele Menschen Fasching feierten und in den Skiurlaub nach Italien und Österreich fuhren. Die Zahlen der Infizierten steigen seitdem unaufhörlich – weniger stark als in anderen Ländern, doch trotzdem: Mehr als 130.000 Menschen haben sich nach Angaben des Robert Koch Instituts (RKI, Stand 16. April 2020) in Deutschland mit dem Virus infiziert, es gibt über 3.500 Tote. In dieser Animation lässt sich die Verbreitung in der Bundesrepublik nachvollziehen.
Ausgangsbeschränkungen seit dem 22. März
Am 22. März wurden umfassende Maßnahmen von der Bundesregierung eingeleitet. Ziel dieser ist es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und Zeit zu gewinnen. Dazu zählt eine Ausgangsbeschränkung, die bedeutet, dass die eigene Wohnung nur aus besonderen Gründen verlassen werden darf. Dies beinhaltet, ähnlich wie in Griechenland, der Weg zur Arbeit, notwendige Einkäufe und Arzt- und Apothekenbesuche.

Schlange stehen zum Einkaufen ist für viele Alltag geworden. ©Photo by Tobias Rehbein on Unsplash
Nach anfänglichen Hamsterkäufen normalisiert sich die Situation in den Supermärkten wieder und es gründen sich immer mehr (digitale) Initiativen, die Menschen, die nicht selbst einkaufen gehen können, Unterstützung bieten. Auch Hilfe für andere Menschen, sowie Bewegung und Sport sind möglich. Dies ist jedoch nur allein, mit einer weiteren Person oder mit Menschen, mit denen man zusammenlebt, erlaubt. Generell gilt es, einen Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Diese zunächst auf zwei Wochen beschränkten Maßnahmen wurden bis zum 3. Mai 2020 verlängert.
Einige Bundesländer, die stärker betroffen sind, etwa Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, gehen in ihren Maßnahmen über die bundesweiten Regelungen hinaus. So stehen dort einzelne Städte und Gemeinden unter Quarantäne. Dazu zählt etwa die Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg, in der sich vermutlich bei einer Karnevalsveranstaltung mehrere hundert Menschen infiziert haben sollen. Ein Team von Wissenschaftlern führt dort derzeit eine Feldstudie durch, um mehr über die Ausprägung von Immunität gegen das Virus in der Gemeinde herauszufinden.
Föderaler Staat: Unterschiede von Bundesland zu Bundesland
Die große Mehrheit der Geschäfte ist derzeit geschlossen. Supermärkte, Tankstellen, Bäckereien, Apotheken und auch Baumärkte sind davon ausgenommen. Restaurants dürfen Essen nur noch liefern oder zum Abholen anbieten. Schwimmbäder, Fitnessstudios, Museen, Zoos, Spielplätze, Kinos, Konzerthallen, Clubs, Bars und Cafés usw. sind geschlossen. Und auch das Ausüben von Gottesdiensten u.Ä. ist nicht erlaubt. Die nördlichen Bundesländer an Nord- und Ostsee, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, veranlassten, dass Menschen ohne festen Wohnsitz in einem der beiden Bundesländer nicht mehr einreisen dürfen. Auch hier gibt es, ähnlich wie in Griechenland, große Sorgen, dass die Tourismus-Saison im Jahr 2020 gefährdet sein könne.

Leere Strände an Nord- und Ostsee wie hier auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst gehören wohl zur Tourismussaison 2020 mit dazu. ©agorayouth
Grundsätzlich muss man wissen: Durch die föderale Struktur der Bundesrepublik gelten in jedem Bundesland andere Regeln, auch was die Sanktionierung von Verstößen gegen Regeln angeht. In Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind etwa Strafzahlungen bis zu 25.000 Euro bei Verstößen möglich. In Berlin ist es nach sehr scharfen Regelungen, und der folgenden Kritik daran, seit Anfang April wieder möglich, sich draußen zeitlich begrenzt auf Parkbänken oder Grünflächen aufzuhalten – in anderen Bundesländern bleibt dies wiederum verboten.
Die ergriffenen Maßnahmen
Für den Bildungssektor bedeuten die Maßnahmen – bundesweit einheitlich –, dass Schulen und Kindertagesstätten bis auf weiteres bis zum 3. Mai 2020 geschlossen sind – danach sollen Abschlussklassen unter strengen Auflagen wieder in die Schule dürfen, damit Prüfungen zum Abitur, für die mittlere Reife oder den Ausbildungsabschluss stattfinden können.
Zwischenzeitlich befand sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für zwei Wochen in Quarantäne, weil ein Arzt, der sie behandelt hatte, sich mit dem Virus infiziert hatte. Der Verdacht einer Ansteckung bei der Kanzlerin bestätigte sich allerdings nicht. Nach ihrer Fernsehansprache an die Bevölkerung, die sie sonst nur an Neujahr nutzt, betonte Merkel, dass sie nicht von einem schnellen Ende der Gefährdung durch das Virus ausgehe. Das Virus werde so lange ein Bedrohung sein, bis ein Impfstoff gefunden sei – „das ist nicht verschwunden. Auch wenn sich einen Tag mal weniger Leute anstecken“, so Merkel.
Ein Blick in den Gesundheitsbereich

In Jena müssen Bürger bereits einen Mundschutz tragen. ©Photo by Tobias Rehbein on Unsplash
Aktuell wird in Deutschland neben der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen und das unzureichend mit Material versorgte Gesundheitssystem auch über eine Pflicht, einen Mundschutz zu tragen, diskutiert. In Österreich und auch im thüringischen Jena müssen Menschen, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder in Läden einkaufen, bereits seit Anfang April einen Mundschutz tragen. Auch eine sogenannte Corona-Datenspende-App, mithilfe derer auf freiwilliger Basis die Verbreitung von Symptomen erfasst werden soll, ist in der Diskussion. Damit könnten Forscher am RKI Rückschlüsse auf die Verbreitung des Virus ziehen.
In einem gemeinsamen Kraftakt und, um einen Überblick zu bekommen, in welchem Krankenhaus wie viele freie Intensivbetten zur Verfügung stehen, wurde in den vergangenen Wochen zudem ein Intensivregister aufgebaut, in dessen Datenbank Kliniken ihre Kapazitäten und Corona-Infizierten eintragen können. So soll es auch möglich sein, Patienten über Bundesländer-Grenzen hinweg verlegen zu können, wenn es lokal zu Engpässen kommt.
Deutschlandweit wurden die Kapazitäten im Gesundheitssystem massiv aufgestockt: Zu Beginn der Pandemie standen etwa 28.000 Betten auf Intensivstationen und 20.000 Beatmungsgeräte zur Verfügung, nun sind es Schätzungen zufolge 40.000 Betten und etwa 30.000 Beatmungsgeräte. Und auch die Testkapazitäten wurden erhöht: Wöchentlich werden nach Angaben des RKI etwa 500.000 Tests durchgeführt – angestrebt ist, dass es noch mehr werden.
Und die Wirtschaft?
Bundesweit haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund 650.000 Betriebe Kurzarbeit wegen des Virus angekündigt. Ende März machte der Bundestag den Weg frei für das größte Hilfspaket der Geschichte der Bundesrepublik, das ein Volumen von 750 Milliarden Euro hat. Zusammengesetzt ist es aus einem Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Höhe von 600 Milliarden Euro und einem Nachtragshaushalt, mit dem der Bund Kredite in Höhe von 156 Milliarden Euro aufnehmen kann.
Durch den Rettungsschirm sollen Unternehmen und Arbeitsplätze gesichert werden, die Gesundheitsversorgung gewährleistet und der soziale Zusammenhalt bewahrt werden. Zu konkreten Hilfspaketen zählen neben Krediten an Unternehmen aber auch Soforthilfen für Kleinunternehmer, Solo-Selbstständige und Freiberufler befristet auf drei Monate, sowie Unterstützung für Familien und sozial Schwache. Auch dürfen in Deutschland Mieter von Wohnungen und Geschäftsräumen nicht gekündigt werden, wenn es durch die Corona-Krise zu Verzögerungen der Mietzahlungen kommt. Das Gleiche gilt für Strom-, Gas- und Telefonanschlüsse.
Text: Lisa Brüßler
Titelfoto: Photo by Dmitry Dreyer on Unsplash
Teil Eins der Reihe beschreibt die Auswirkungen der Pandemie in Griechenland, zum Text auf Griechisch geht es hier entlang. Ab Folge Drei werden wir über Reaktionen von Organisationen aus dem Jugendsektor beider Länder berichten.