Man nehme zehn Griechen, fliege mit ihnen an den Rand Berlins und treffe dort auf eine Gruppe, die internationaler kaum sein könnte und es entsteht das Projekt „Migrationsgesellschaft“. Dabei haben wir vor allem eins gelernt: Es gibt mehr als nur Schwarz und Weiß. Ein Bericht von Elisa Henke.
In den letzten Monaten habe ich für die griechische Seite den deutsch-griechischen Austausch in Berlin organisiert. Acht Tage lang, vom 8. bis 15. Dezember 2019, haben wir in einer Gruppe von 20 Teilnehmern über Migration und die Idee einer Migrationsgesellschaft diskutiert. Ziel war es, den Teilnehmern in den Workshops Methoden zur Inklusion von Personen mit Sprachbarrieren näher zu bringen. Dazu haben die Organisationen Praxis aus Griechenland, Fusion e.V, aus Berlin und die Logos NGO aus Polen, junge und interessierte Teilnehmer an ihren Ideen Teil haben lassen.
Im Vorhinein war mir die Aufgabe übertragen worden, passende Teilnehmer aus Griechenland für das Projekt in Berlin zu finden und die Gruppe vor Ort zu leiten. Trotz der für mich sehr intensiven Vorbereitungen hatte ich keine konkrete Vorstellung wie genau die Veranstaltung gestaltet sein wird.

Gemeinsam kreativ werden. ©Peter Mitchell
»Anstatt wie erwartet auf zehn junge deutsche Teilnehmer zu treffen, begegneten wir einer Gruppe aus aller Welt«
Angekommen in Berlin, entwickelte sich nicht nur auf der griechischen Seite schnell eine positive und progressive Gruppendynamik. Auch bei unserer Ankunft in Zebra Kagel in Berlin wurden wir herzlich von einer vielfältigen Gruppe begrüßt. Anstatt wie erwartet auf zehn junge deutsche Teilnehmer zu treffen, begegneten wir einer Gruppe aus aller Welt: Kolumbien, Polen, Mali, Schottland, Syrien und die Türkei sind nur ein paar der Länder, aus denen die Personen stammten, mit denen ich die nächsten Tage verbringen sollte. Die Diskussionen und Workshops wurden maßgeblich von der Vielfältigkeit an Kulturen geprägt.
Nachdem wir den ersten Tag hauptsächlich dafür genutzt haben einander kennen zu lernen, beschäftigte wir uns am zweiten Tag mit der Semantik des Wortes „Migrationsgesellschaft“. Auch haben wir Ziele und Methoden ausgearbeitet mit denen man eine Gesellschaft besser auf das Phänomen Migration vorbereiten kann.
Besonders interessant waren die Berichte über die Situation von Flüchtlingen in den einzelnen Ländern. Auch ich durfte eine Präsentation über meine Arbeit mit Flüchtlingen in Griechenland halten. Dabei bin ich vor allem auf die Methoden eingegangen, die wir nutzen, um Flüchtlinge besser in die Gesellschaft zu integrieren: Für die meisten Flüchtlinge ist Griechenland nur ein Zwischenstopp auf ihrer Reise in nordeuropäische Länder. Daher entsteht mancherorts ein Konflikt zwischen der griechischen Bevölkerung, die sich ausgenutzt fühlt, und den Flüchtlingen, die daraufhin vernachlässigt werden.
Ein sensibles Thema
Die Reaktionen auf die Präsentation meiner Arbeit haben mich überwältigt, da sie sehr viel emotionaler waren, als ich es erwartet habe. Positive Resonanz wie diese stärkt mich in meiner Überzeugung, meine Privilegien und Mittel für diejenigen zu nutzen, denen eben jene Privilegien noch nicht zur Verfügung stehen. Nach diesem zweiten Tag war uns allen bewusst, wie sensibel das Thema unserer Workshops ist. Um dennoch die gewollte Botschaft vermitteln zu können, haben uns die Koordinatoren neue Methoden aufgezeigt, die Organisationen zur Inklusion nutzen können.
Bei der Integration von Flüchtlingen treten häufig Hindernisse wie Sprachbarrieren oder kulturelle Unterschiede auf. Diese Herausforderungen lassen sich jedoch mit den richtigen Methoden und reichlich Engagement überwinden. Im Allgemeinen fängt die Lösung des Problems der „ Flüchtlingskrise“ da an, Unterschiede nicht als Hindernisse sondern als Herausforderung und Bereicherung anzusehen. Sowohl in den Medien als auch in persönlichen Gesprächen überwiegt die Angst vor Integration und den negativen Konsequenzen. Viel zu selten werden die gesellschaftlichen Vorteile von Diversität in den Vordergrund gestellt oder die wirtschaftlichen Vorteile des Austausches von Kompetenzen diskutiert.
Migration ist kein neues Phänomen in der Geschichte der Menschheit. Völkerbewegungen ziehen sich durch Jahrhunderte unserer Historie, jedoch werden ihre Ausmaße immer größer. Die „Flüchtlingskrise“ der letzte Jahre war eine Krise, da wir sie durch unzureichende Vorbereitung und abweisender Haltung dazu gemacht haben. Wir haben die Chance aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und der nächsten Migrationsbewegung richtig, mit offenen Armen, zu begegnen.
Sprache findet auf vielen Ebenen statt
Jeder, der bereits mit Flüchtlingen gearbeitet hat, kennt die Herausforderungen, die einen Freiwilligen bei seiner Arbeit erwarten können. Treffen Menschen mit verschiedenen Hintergründen aufeinander, können nicht nur kulturelle Konfrontationen entstehen, sondern auch Hindernisse auf der sprachlicher Ebene.
Eine der Methoden, die das Team von FUSION entwickelt hat, ist ein Brettspiel, das in einem Projekt mit syrischen Flüchtlingen entstanden ist. Die Geschichten der Flüchtlinge tragen einen maßgeblichen Anteil an der Ausarbeitung des Spiels: Jeder Teilnehmer wird in die Rolle eines Menschen versetzt, der sein Heimatland verlässt und sich auf die Reise nach Deutschland begibt. Auf diesem Weg erwarten ihn unerwartete Wendungen und Schicksalsschläge, die an die tatsächlichen Erzählungen der syrischen Flüchtlingen angelehnt sind. Die Regeln des Spiels sind simpel und selbsterklärend, sodass sie auch durch nonverbale Kommunikation erklärt werden können.
Besonders beeindruckt hat mich an dieser Methode die persönliche Note, die die Rekonstruktion des Weges eines Geflüchteten hat. Der Spieler versetzt sich ganz in die Rolle hinein und erfährt während des Spiels die Frustration und Hilflosigkeit, mit der Flüchtlinge umgehen müssen. Natürlich stellt das Spiel nur vereinfacht die Situation von Migrationsbewegungen dar. Dennoch ist es eine innovative Möglichkeit, sich die Reise, die jeder Geflüchtete auf sich nehmen muss, vor Augen zu führen.
Kommunikation ohne Sprache
Eine andere Methode, die mir aus diesen sehr intensiven Tagen, im Gedächtnis geblieben ist, ist der Silent Workshop. In diesem wurden alle Teilnehmer gebeten für zwei Stunden still zu sein. Angefangen haben wir mit einfachen Spielen, deren Regeln nonverbal erklärt wurden. Im Anschluss haben unsere Mentoren uns gebeten, mit Vertrauenstests anzufangen. Zu Beginn war jeder von uns aufgrund der mangelnden Kommunikation unsicher.
Nach einer Weile wurde uns jedoch bewusst, dass für den Aufbau einer Vertrauensbasis keine Kommunikation notwendig ist. Letztendlich haben sich alle während des Workshops wortwörtlich fallen lassen können. Es war überraschend, wie diszipliniert sich alle Teilnehmer an die Regel der Stille gehalten haben. Das gegenseitige Vertrauen wurde nicht enttäuscht oder lächerlich gemacht sondern respektiert. Jedem von uns wurde deutlich, dass wir durch die Entwicklung von kreativen Methoden die Hindernisse sprachlicher Barrieren überkommen können.
Das Projekt hat mir die Möglichkeit gegeben, herauszufinden, wie ich für einen Geflüchteten eine Vertrauensperson darstellen kann. Gerade für Menschen, die nach einer teils traumatischen Reise in einem unbekanntem Land ankommen, ist es wichtig, eine Vertrauensbasis zu bilden. Ich bin mir sicher, dass ich das in Berlin Gelernte in den nächsten Monate in Griechenland umsetzen werde.
Text: Elisa Alexandra Henke
Fotos: Peter Mitchell
Die Berichte sind zuerst auf youthreporter.de unter dem Titel „Migration Society in Zebra Kagel“ und „Methoden der Inklusion“ erschienen.
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.