Rolf Stöckel engagiert sich seit Jahren in deutsch-griechischen Projekten. Für die SPD saß Stöckel über zehn Jahre im Bundestag. Mit agorayouth.com sprach er über seine ehrenamtliche Arbeit und die Situation nach der Wahl.
Herr Stöckel, Sie werden maßgeblichen Anteil an der Anbahnung des Deutsch-Griechischen Jugendwerks haben. Warum gerade Sie?
Es scheint mir wichtig zu sein, die kulturellen, strukturellen und politischen Unterschiede zu kennen und zu verstehen. Und das gerade vor dem Hintergrund einer noch unbewältigten Vergangenheit mit Stereotypen auf beiden Seiten. Die Finanzkrise mit ihren sozialen Folgen, insbesondere für die Jugendlichen in Südeuropa, stellt unser Verhältnis vor große Herausforderungen.
Durch mein langjähriges ehrenamtliches Engagement in deutsch-griechischen Projekten bringe ich die nötige Erfahrung mit. Ein weiterer Vorteil: Durch diese Arbeit bin ich auch mit allen wichtigen Akteuren gut vernetzt. Ich glaube, deswegen haben mir die entscheidenden Leute auch zugetraut, dass ich ein solches Projekt mit Herzblut, Realismus und Diplomatie angehe.
Sie stehen der Arbeitsgemeinschaft für internationale Jugendprojekte Unna e.V. vor. Was steckt hinter dem Projekt?
Ich bin bei dem kleine Kinder- und Jugendhilfeträger im Jahr 2000 eingestiegen. Ausgangspunkt war die Frage, ob ich bei einem Konflikt mit den griechischen Behörden, als damaliger Bundestagsabgeordneter helfen könne. Der Verein unterhält seit knapp zwei Jahrzehnten eine Jugendwohngruppe im Süden des Peloponnes, in der Region Mani nahe der Hafenstadt Gythio. Wir haben dort mit Eigenmitteln und griechischer Betriebserlaubnis das Begegnungszentrum „Ger-Mani“ aufgebaut. Dort haben sich bereits viele Jugendliche aus Deutschland und anderen europäischen Ländern mit griechischen Jugendlichen getroffen. Zum Beispiel Schulklassen, Sportmannschaften, Künstler und Nachbarn der Region durften sich in dem Zentrum näher kennenlernen.
Welche Erfahrungen bringen Sie aus einem Projekt wie Ger-Mani mit?
Die großen und kleinen Probleme – aber auch die Erfolge und kleinen Fortschritte bestärken mich in meiner Überzeugung: Begegnung und Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft stärkt den Einzelnen. Große Hemmungen, Vorurteile, Sprachbarrieren und dazu noch eine belasteten Vergangenheit lassen sich so besser überwinden. Nur auf diese Weise kann es wirklich von unten eine europäische Integration geben. Diese vielseitigen Erfahrungen bringe ich in den Aufbau des Deutsch-Griechischen Jugendwerks ein.
Wo sehen Sie die größten Handlungsfelder in Bezug auf den Aufbau des Deutsch-Griechischen Jugendwerks?
Zum einen braucht es den politischen Willen der Regierungen, der hoffentlich zu einem erfolgreichen Vertragsabschluss im kommenden Jahr führen wird. Ich denke, sobald sich die neue Regierung sortiert hat, wird es weiter vorwärts gehen, weil diejenigen, die in der Zivilgesellschaft mit Jugendlichen arbeiten und bisher kaum Unterstützung bekommen haben, das wollen und einfordern werden. Spätestens 2016 sollte dann eine gemeinsame funktionierende Organisation starten. Zum anderen gilt es, Vertrauen, Austausch und gegenseitige Unterstützung zwischen den aktiven und neu-interessierten Trägern und Fachkräften aufzubauen. Darin sehe ich das größte Handlungsfeld.
Und wo sehen sie die Schwierigkeiten?
Aufgrund der völlig unterschiedlichen Strukturen der Kinder- und Jugendarbeit, der Bildungssysteme und politischen Zuständigkeiten bedarf es einer praktische Unterstützung und Hilfestellung der aktiven Jugendarbeiterinnen und –arbeiter in Griechenland. Diese Engagierten haben bislang kaum Unterstützung seitens der Kommunen und des Zentralstaates bekommen. Deshalb waren Begegnung und Austausch bisher meist eine Einbahnstraße von Deutschland nach Griechenland. Die Kunst muss sein, diese praktische Hilfe so zu leisten, dass beide Seiten gleichberechtigt und auf Augenhöhe ihre eigene Kultur und Ideen einbringen können – nur so kann etwas gemeinsames Neues entstehen. Ein neues Jugendwerk, mit dem sich alle identifizieren und das von tagespolitischen Entwicklungen, Krisen und Regierungswechseln unabhängig agieren kann.
Was wird das künftige Jugendwerk verändern können?
Eine gemeinsame Organisation kann vielfältigen Jugendaustausch und Begegnungen und damit neue gemeinsame Lernprozesse fördern. Das wird helfen, Vorurteile und kulturelle Barrieren abzubauen sowie Respekt und gegenseitige Anerkennung in einer europäischen Vielfaltskultur aufzubauen.
Was heißt das denn konkret?
Ein Jugendwerk kann beispielsweise Berufspraktika und damit internationales Wissen für den Einzelnen fördern aber auch die Zivilgesellschaft im Sinne der gemeinsamen europäischen Werte stärken. Unabhängigen Jugendinitiativen sollte das Jugendwerk ebenfalls unter die Arme greifen. Es wird aber wenig dazu beitragen können, die direkten Krisenfolgen – wie die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland – zu bekämpfen. Die Europäische Union mit ihrer Jugendgarantie und die Wirtschaft sind da in höchstem Maße in der Verantwortung und dürfen sich nicht wegstehlen.
Stichwort: Krise – nach der Wahl in Griechenland diskutieren beide Länder über Schuldenschnitte und Sparmaßnahmen. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland scheint vor einer neuen Belastungsprobe zu stehen. Erschwert das den Fortschritt auf dem Weg zu einem Jugendwerk nicht erheblich?
Es ist der einzige Weg. Feindbilder und Vorbehalte können nur durch persönliche Erfahrung, Aufklärung und Zusammenarbeit abgebaut werden. Die Boulevardmedien beider Länder haben die Feindbilder auf der Basis einer schwer belasteten Vergangenheit und anti-europäischer Tendenzen leider in den vergangenen Jahren wieder geschürt. Und vor dem Hintergrund des Regierungswechsels geht es wieder los. Die meisten Urteile darüber sind allerdings von wenig Sachkenntnis geprägt. Welche Gegenwirkungen ein Jugendwerk entfalten kann, haben uns die Jugendwerke mit Frankreich und Polen dabei allerdings schon eindrucksvoll gezeigt.
Studien belegen außerdem den Wert internationaler Begegnungen für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen. Das gilt besonders für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien. Ein Austausch ist also ein sehr gutes Mittel gegen die Abschottung und Verführung von Jugendlichen mit gefährlichen Feindbildern, Rassismus und Gewaltbereitschaft durch politischen Extremismus, Nationalismus oder religiös begründeten Fundamentalismus.
Und nun noch einmal persönlich: Wenn es gelingt, bis 2016 erste zählbare Ergebnisse für das DGJW vorzuweisen, um wie viele Jahre werden Sie bis dahin gefühlt gealtert sein?
Man würde bei dieser Herausforderung vielleicht annehmen, dass man gefühlt schneller altern könnte. Ich behaupte das Gegenteil: Sich vor allem mit den Ideen und Problemen von jungen Europäern auseinanderzusetzen – das hält jung. Und zu guter Letzt, die mediterranen Speisen und eine Prise griechischer Mentalität sind für einen Westfalen unbedingt gesundheitsfördernd.
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