Wie können Gewerkschaften über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten, um Perspektiven für kommende Generationen zu fördern? Die deutsch-griechische gewerkschaftliche Zusammenarbeit im Projekt Unions4VET macht Mut. „VET“ hat dabei nichts mit der Tiermedizin zu tun, sondern ist die Abkürzung von „Vocational Education & Training“. Agorayouth hat mit Martin Roggenkamp gesprochen, der in dem Projekt für das Berufsfortbildungswerk (bfw) des DGB mitarbeitet.

Agorayouth: Im Projekt Unions4VET wird sich bereits seit Juni 2015 u.a. für eine deutsch‐griechische gewerkschaftliche Zusammenarbeit eingesetzt. Wie kam es dazu?
foto_roggenkamp bfw DGB.jpgMartin Roggenkamp: Die Bildungsminister von Deutschland, Griechenland, Italien, Lettland, Portugal, der Slowakei und Spanien haben 2012 das Berliner Memorandum „Berufliche Bildung in Europa – Perspektiven für die junge Generation“ unterzeichnet. Darin wurde eine Ausbildungsallianz für eine stärkere internationale Zusammenarbeit in der Berufsbildung und zur Förderung des betrieblichen Lernens verabredet. Damit das Abkommen auch mit Leben gefüllt wird, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit den wichtigsten Akteuren im deutschen Berufsbildungssystem – den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern und den Gewerkschaften – drei Strategieprojekte abgestimmt, die auch gefördert werden. Durch diese soll der Austausch und die Zusammenarbeit mit Akteuren in den Partnerländern vorangetrieben werden.

Agorayouth: Und da kommt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ins Spiel?
Roggenkamp: Genau, eine gute Berufsbildung ist aus der Sicht des DGB eine zentrale Grundlage für die soziale und berufliche Teilhabe junger Menschen. Da die Situation junger Menschen in vielen Ländern Europas zur Zeit sehr schlecht ist, hat der DGB gemeinsam mit seinem Berufsbildungsunternehmen bfw – Unternehmen für Bildung dann das Projekt Unions4VET initiiert. Die Idee ist, dass durch den Austausch zwischen den Gewerkschaften verschiedener Länder wechselseitiges Lernen und Zusammenarbeit dazu beitragen, dass die Gewerkschaften sich besser für die Interessen junger Menschen stark machen können.

Agorayouth: Im Projekt treffen ja sehr unterschiedliche Ländern, Systeme und Voraussetzungen aufeinander. Welche Schwierigkeiten sind dabei entstanden?
Roggenkamp: Darin liegen in der Tat besondere Herausforderungen in zweierlei Hinsicht: Zum einen sind die Berufsbildungssysteme in Deutschland und in Griechenland sehr unterschiedlich und zudem sind Berufsbildungssysteme in der Regel auch noch relativ komplex. Es war daher auch ein wichtiges Ziel des Projektes, dass die Gewerkschafter/innen in beiden Ländern zunächst überhaupt verstehen, wie das System in dem jeweils anderen Land funktioniert und was das dann wieder für die jungen Leute in den Systemen und die weiteren Akteure heißt. Dafür haben wir uns viel Zeit genommen und uns gegenseitig die Systeme erklärt und – was noch wichtiger war – wir haben gegenseitig Betriebe und Schulen besucht, um die Berufsbildung in der Praxis zu erfahren.

So sollte zum einen ein tieferes Verständnis für die Situation der Partner in den verschiedenen Ländern hergestellt werden. Und zum anderen sollten die Gewerkschafter/innen in die Lage versetzt werden zu sehen: „Das läuft gut in dem anderen Land. Das ist vielleicht eine Idee dafür, wie wir es bei uns besser machen könnten.“ Aber auch: „Das läuft schlecht, das lassen wir lieber.“ Der Gedanke dahinter ist: Wenn alle aus den Erfahrungen anderer lernen, bringt das im Endeffekt positive Effekte.

Agorayouth: Und über das Kennenlernen und Verstehen der Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinaus?
Roggenkamp: Dazu komme ich jetzt. Die zweite große Herausforderung lag und liegt in den sehr unterschiedlichen Situationen beider Länder. Griechenland befindet sich in einer tiefen ökonomischen Krise und es musste dort im Zuge der Finanzkrise sehr viel Personal in den Schulen und in der Verwaltung abgebaut werden. Die deutsche Wirtschaft erlebt dagegen einen wirtschaftlichen Aufschwung, wie es ihn – zumindest von der Dauer her- noch nie gegeben hat, und dementsprechend gut läuft es auch in der Berufsbildung – was im Übrigen vor 15 Jahren noch ganz anders ausgesehen hat, als es in Deutschland einen anhaltenden Mangel an Ausbildungsplätzen gab und die Situation vieler junger Menschen entsprechend schlecht war.

Diese Situation kann dazu verführen, dass der Austausch einseitig erfolgt und deutsche Beteiligte den Zeigefinder erheben und nur das Gute im eigenen System und das Schlechte im anderen sehen. Aber das ist grundlegend falsch: Zum einen hat jedes System Stärken und Schwächen und es gibt durchaus Elemente des griechischen Bildungssystems, die das deutsche System besser machen würden. Zum anderen funktioniert ein Austausch nicht, wenn er nicht auf Augenhöhe geführt wird. Die Partner müssen sich respektvoll und neugierig begegnen. Ich denke, das ist in unserem Projekt ganz gut gelungen.

Agorayouth: Werden wir mal konkret: In Kooperation mit dem MENDI-Projekt der DEKRA-Akademie führten die Projektpartner 2017 zwei Workshops mit Auszubildenden, Ausbildern und Gewerkschaftsvertretern in der Tourismusbranche in Griechenland durch. Was ist dabei deutlich geworden und vielleicht auch erreicht worden?
Roggenkamp: Das MENDI-Projekt ist eine Art Pilotprojekt zur Durchführung einer betrieblichen Ausbildung in der Tourismusbranche. In den Workshops wurde mit Ausbilder/innen, Azubis und Gewerkschafter/innen diskutiert, inwieweit das Projekt eine sinnvolle Ausbildungsform darstellt und welche Verbesserungsmöglichkeiten es gibt. Für die Azubis war es insgesamt eine gute Erfahrung und die Ausbildung entsprach auch aus der Sicht der Gewerkschafter/innen zum großen Teil ihren Anforderungen an eine gute Ausbildung.

Agorayouth: Ich höre da ein „aber“…
Roggenkamp: Eher ein „allerdings: Die Beteiligten verwiesen darauf, dass die betriebliche Ausbildung in Griechenland noch wenig Akzeptanz findet und auch in das Berufsbildungssystem nicht richtig integriert ist. Ein wichtiges Thema in den Workshops war daher auch die Qualifizierung der Ausbilder/innen. Diese haben mit der Form der Ausbildung noch keine Erfahrung. Sie verfügen nicht über die notwendigen pädagogischen Qualifikationen und haben teilweise nicht die richtige Einstellung zur Ausbildung. Hier sahen alle Beteiligten den dringendsten Verbesserungsbedarf. Ein zweiter wichtiger Punkt war die Interessenvertretung der Azubis in den Betrieben. Diese klagten beispielsweise teilweise darüber, dass die vereinbarten Arbeitszeiten nicht eingehalten wurden oder die Ausbildungsvergütung erst mit Verzögerung gezahlt wurde und sie sich nicht dagegen wehren konnten. Da würde natürlich eine Interessenvertretung durch Gewerkschaften einen entsprechenden Schutz gewährleisten und das Vertrauen in die betriebliche Ausbildung insgesamt stärken.

Agorayouth: Sehen sie nachhaltige Erfolge bzw. neue Initiativen, die auch stärker auf die Interessen und die Situation der Auszubildenden eingehen?
Roggenkamp: Im Rahmen von Unions4VET wurden Instrumente zur Verbesserung der Situation der Auszubildenden entwickelt– etwa ein Mentoring-Konzept, oder eben die Ausbilder/innen-Qualifizierung. Im Moment ist aber noch offen, wie sich das betriebliche Lernen von den gesetzlichen Grundlagen her in Griechenland weiterentwickeln wird. Insofern ist es natürlich auch etwas schwierig, Initiativen zur Verbesserung der Situation der Auszubildenden durchzuführen, wenn nicht so ganz klar ist, wie die Situation der Auszubildenden überhaupt sein wird. Grundsätzlich bedarf es aber bei jeder Form der betrieblichen Ausbildung eine Kontrollinstanz und/oder eine gewerkschaftliche bzw. betriebliche Interessenvertretung, um zu verhindern, dass Auszubildende nicht doch in Einzelfällen als billigere Arbeitskräfte missbraucht werden und eine angemessene Qualität der Ausbildung betriebsübergreifend zu gewährleisten.

Agorayouth: Haben sich noch weitere Pilotprojekte außerhalb der Tourismusbranche herausgebildet?
Roggenkamp: Mir ist bekannt, dass die Auslandshandelskammer in Athen momentan gemeinsam mit einem Brauereiunternehmen eine betriebliche Ausbildung zum/zur Bierbrauer/in plant und es gibt sicher auch noch weitere Pilotprojekte…

Agorayouth: Unions4VET wird noch bis September 2018 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Kann man schon etwas dazu sagen wie es danach weitergehen könnte?
Roggenkamp: Für die Gewerkschaften ist die internationale Berufsbildungszusammenarbeit ein wichtiges Ziel und es wäre ein großer Rückschlag, wenn das Netzwerk und die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die im Rahmen von Unions4VET in den letzten Jahren aufgebaut worden sind, mit dem Ende der Projektlaufzeit enden würden. Daher ist aus unserer Sicht klar, dass die gewerkschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen von Unions4VET in jedem Fall weitergeführt wird. Aktuell werden verschiedene Möglichkeiten der Finanzierung geprüft.

Agorayouth: Herr Roggenkamp, vielen Dank für das Interview!

Hintergrund: Partner in der Zusammenarbeit ist das griechische Institut für Arbeit (INE-GSEE)des Gewerkschaftsverbandes GSEE, mit dem Ziel die griechische Arbeitsnehmervertretung systematisch durch fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik zu unterstützen, zudem ist es im Bereich der Personalentwicklung vor allem in der Entwicklung und Durchführung von Angeboten im Bereich Weiterbildung, lebenslanges Lernen, benachteiligte Zielgruppen. Partner ist auch das dazugehörige Institut des Gewerkschaftsverbandes, KANEP,das die Gewerkschaften bei der Umsetzung ihrer Agenda im Bereich Beschäftigungspolitik unterstützt. Auch was soziale Benachteiligung und die Förderung gewerkschaftlicher Präsenz in der Gesellschaft angeht. KANEP ist darüber hinaus in allen regionalen, bundesweiten Gremien und Einrichtungen eingebunden, die sich mit Lebenslangem Lernen und Beschäftigungspolitik befassen und zudem Mitglied der Beratungsgruppe für den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) und den Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR).

Interview: Lisa Brüßler
Fotos: Berufsfortbildungswerk Gemeinnützige Bildungseinrichtung des DGB

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