Was im Oktober 2016 als Fachkräfteaustausch in Berlin begann und sich im Dezember 2016 in Athen fortsetzte, mündete im Frühjahr 2017 in zwei Jugendbegegnungen mit dem Namen „In and out“. Ein Theaterprojekt, eine Woche Berlin, eine Woche Athen. “Faith“ heißt das Stück, das die etwa zwanzig jungen Menschen mit Migrationsgeschichten im Athener Τεχνοχώρος Φάμπρικα Ende Mai zur Aufführung brachten.

„Einfach nur verrückt. Die jungen Schauspieler leidenschaftlich am Singen, Rezitieren, Tanzen und durch die Luft fliegen: 17 Akte aus dem Herzen der 20 Schauspieltalente, die das Publikum so mitrissen, dass es sich am Ende selbst auf der Bühne fand und mittanzte“ – so heißt es im abschließenden Post des Theaterprojektes von Mostar Friedensprojekt e.V. und Fabrica Athens.Fachkräfteaustausche vorangegangen
„An was glaubst Du?“ Am Anfang war das nur eine kleine harmlose Frage auf einem Fragebogen, den Jugendliche aus Athen und Berlin beantworten sollten. Einer antwortete scherzhaft „an Dich“, einige „an die Liebe“, viele „an Gott“, an „das Schicksal“, einer an „das Türkentum“. Während des Fachkräfteaustausch in Athen hatten die Teilnehmer neben dem Staatsfernsehen, der Kunsthochschule und mehreren Ausstellungen eines Nachts auch die Proben der Drama School im Auditorium einer ehemaligen Nervenklinik in Agia Varvaris besucht.

Viele Teilnehmer aus Berlin waren nie in Griechenland gewesen, für die meisten Teilnehmer aus Athen war es die erste Berührung mit Deutschland. Nach einer langen Reise kamen die Griechen um Mitternacht in Schönefeld an und wurden von Unbekannten in weit auseinanderliegende Wohnungen verfrachtet. Eine kleine Führung am Morgen, schon waren sie im „Theaterhaus“ einer drama- und musikorientierten co-working station und wurden mit typischen Kreuzberger Genüssen befrühstückt. Athener frühstücken kaum. Ein Kaffee vom Späti, zwei Zigaretten im „Raucherzelt“ vor dem Eingang reichen für den halben Tag. Kreuzberger können sich anpassen. Dann eben üppige Nachmittag- und Abendessen in den verschiedenen Fastfoodtempeln der Hauptstadt. Abends Theaterbesuch, einmal, zweimal – was schon wieder Theater? Einige griechischen Teilnehmer brachten es bis auf fünf Besuche: Schaubühne, HAU, Maxim Gorki, Chamäleon, Berliner Ensemble, stiessen spät nachts in diversen Bars, Clubs und Kneipen zu ihren deutschen Gastgebern. Oder schliefen aus in Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg und Charlottenburg.

Und dann waren da Fanis, Theaterdirektor von Fabrica Athens und Professor für Schauspiel besagter Drama School, nebenbei hauptamtlicher Clown bei Mr. Und Mrs. Bubbles. Und Vicky, Dramaturgin und Schauspielern bei Melancholia und Fabrica in Athen, aber auch unterwegs in diversen Projekten in London, Barcelona und anderswo. Sie hielten die Gruppe in der Balance. Intensive körperliche Aufwärmübungen, Akrobatik, Sprache, die Einführung in die verschiedenen Methoden von Boal, Grotowski, Stanislawski. Intensive Arbeit mit den einzelnen Teilnehmern, Bildung von Kleinstgruppen, Erweiterung zur grösseren Gruppen, erste Szenenentwürfe. Ganz langsam erarbeiteten sich die Teilnehmer Körpergefühl, Abstimmung auf die Partner. Die Berliner lieferten Einblicke in Rap und Hip Hop, halten große Stücke auf ihre Street Credibility. Begeistert tanzten die Griechen hinter ihrem Einpeitscher Mangue Cisse her, feuerten ihren Rapper Ali-Eren an – bis zur Erschöpfung. Dann wieder Raucherzelt.

Faith – woran glaubst du?
Das Thema „Woran glaubst Du?“ hat sich fast von selbst aufgedrängt. Die buntgemischte deutsche Gruppe mit ihren diversen Interessen, Jobs, Studienfächern und ihre griechischen Partner fanden hier eine gemeinsame Kommunikationsebene. Die Ideen begannen zu sprudeln, wurden in Szenenentwürfe umgewandelt, sofort eingeübt. Einige Tage später war schon alles vorbei. Schlechtes Wetter am letzten Tag, Flucht in das Märkische Museum. Endbesprechung, individuelle Eindrücke, wo stehen wir, Arbeitsaufträge für Athen. Gemeinsam blind einen Kilometer durch Berlin. Letzter Tag zur freien Verfügung. Und Tschüss – bis in Athen zu Teil 2!

Einen Monat und mehrere Treffen später landen die „Deutschen“ am Flughafen von Athen – aufgekratzt wie nie. Alle haben Doppelschichten in ihren Jobs und Nebenjobs geschoben, um sich diesen Ausflug leisten zu können. Die Feierlaune wird bis zum letzten Tag anhalten. Die griechischen Teilnehmer schieben ebenfalls Doppelschichten, tags sechs Stunden Proben und dann noch nachts jobben, lernen, proben. Zwei Tage lang kommen alle wieder in die Thematik, bringen ihre neuen Ideen ein, proben neue Szenen. Dann ziehen Vicky und Fanis langsam den Sack zu: Die Szenen bekommen Namen, Übergänge, Orte im Raum, Beleuchtung, Musikuntermalung. Immer öfter spricht Fanis von der „Show“, ein Wort mit eigener Dynamik. Da bleibt eine ernsthafte Ansprache wegen Überfeierung am vierten Tag nicht aus. Dann nimmt das ganze Projekt Fahrt auf, volle Konzentration. Szenen werden geschnitten, einige fallen raus, andere bekommen fast automatisch eine neue Ausrichtung. Einzelproben für die ambitionierten Sänger und Sängerinnen unter den Teilnehmern.

Am fünften Tag kommt der Fotograf, am sechsten sind die Plakate schon überall verteilt. „FAITH“, Fabrica Athens Theater Group, Paraskevi (Freitag), 19 Uhr. Generalprobe – nicht gut genug – Fanis und Vicky werden langsam warm. Die Teilnehmer sind ganz unmerklich in ein echtes Theater hineingeraten. Kneifen, Versagen, ist nicht. Sofortige Ansetzung von zwei Extraproben. Angedachte Party fällt aus und dann ausschlafen in Vorbereitung auf den Moment!

Und dann ist es soweit…
Als sich am Abend der Theaterkeller von Fabrica füllt, ist die Anspannung spürbar. Neugierde bei den Zuschauern auf die „Show“. Was hat sich Fabrica da wieder ausgedacht? Ganz kurze Ansprache von Theodora. Los geht’s. Die Aufführung von 19 oder so Szenen vergeht wie im Flug. Überall auf der Bühne hängen verdeckt Zettel mit dem Ablauf, aber die Gruppe ist auf den Punkt. Griechisch, Englisch, Lieder, Töne, Musik, Bewegungstheater, Gesang und teilweise atemberaubende Akrobatik. Burak und „Säng“ fliegen durch die Luft, wärend Ali-Eren „Junge aus Kreuzberg“ rappt. Anh sitzt im Spotlight als er sein „Ode an die Küchenfrau“ spricht und dann „Hallelujah“ anstimmt. Maria singt ihre rührende „Arie“, während sie ihre Erinnerungen in das Vergessen entlässt. Echte Rührung kommt auf.

Die jungen Schauspieler, das sind sie jetzt, erzählen von sich selbst, appellieren, gehen emotional in Vorleistung. In immer neuen Fascetten machen sie deutlich was „Glaube“ für sie bedeutet. Der Glaube an die Liebe, den Frieden, die Familie, die Freunde, die Gemeinschaft. Das Vertrauen der Mannschaft zum Kapitän, des Hundes zu seinem Herrchen, des Kindes in die Eltern, das Vertrauen in sich selbst. Das Publikum versteht jede Szene, geht bei der Musik mit, lacht über jeden Scherz. Stimmungsvoller griechischer Kalamata geht über in wilden türkischen Tanz, das Publikum ist ausser Rand und Band. Zuschauer stürmen die Bühne, um sich einzureihen. Ende.

Erschöpfung. Melancholischer Abschluss in den Abend hinein im Garten von Fabrica’s Café. Nach Mitternacht erwachte das Partybiest wieder. Die Abschlussbesprechung am nächsten Tag geht über in ein fröhliches Samstagnachmittagessen mit allen Teilnehmern, Freunden und Bekannten bis zur wehmütigen Abfahrt. Eray’s Feststellung fasst alles zusammen: Ich glaube, ich möchte hier wohnen.

Text: Eggert Hardten
Fotos: Giannis Poulimenos

Die Kooperation von Mostar Friedensprojekt und Fabrica geht übrigens noch weiter: Noch in diesem Jahr ist ein Fachkräfteaustausch mit dem Fokus auf Theater mit Behinderten, Schultheater und auch auf das Thema Hiphop, Rap und Breakdance geplant. Das Ziel: Die Vorbereitung von Begegnungen im nächsten Jahr und die Ausweitung der Zusammenarbeit.

 

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